Rezension über:

Polly Low / Graham Oliver / P. J. Rhodes (eds.): Cultures of Commemoration. War Memorials, Ancient and Modern (= Proceedings of the British Academy; 160), Oxford: Oxford University Press 2012, XIII + 199 S., ISBN 978-0-19-726466-9, GBP 65,00
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Rezension von:
Anne Jacquemin
Institut d'Histoire Grecque, Université Marc Bloch de Strasbourg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Anne Jacquemin: Rezension von: Polly Low / Graham Oliver / P. J. Rhodes (eds.): Cultures of Commemoration. War Memorials, Ancient and Modern, Oxford: Oxford University Press 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6 [15.06.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/06/21680.html


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Polly Low / Graham Oliver / P. J. Rhodes (eds.): Cultures of Commemoration

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Obgleich dieser Sammelband von drei Altertumswissenschaftlern herausgegeben worden ist, enthält er, dem Untertitel entsprechend, zwei Beiträge, die Themen aus der Neuzeit behandeln, und zwei Beiträge, die die Art und Weise vergleichen, Verstorbener im klassischen Altertum und in der Neuzeit zu gedenken. Sechs der Verfasser (A. Chaniotis, A. Cooley, P. Low, G. Oliver, P.J. Rhodes, L.A. Trittle) beschäftigen sich mit dem Altertum, und zwei Autoren (A. Ben Amos, S. Goebel) befassen sich mit der Neuzeit - aber alle eint das Interesse an Gedächtnis und Denkmälern, insbesondere an Denkmälern für Gefallene.

Die von zwei Herausgebern (P. Low, G. Oliver) geschriebene Einleitung stellt das Ziel des Buches dar und benennt auch seinen Ausgangspunkt: eine 2003 in London gegen den weltweiten Handel von kleinen Waffen organisierte Demonstration. Von den aus diesem Grund temporär auf dem Trafalgar Square errichteten 'Gräbern' bis zu den steinernen, auf Dauerhaftigkeit hin errichteten Denkmälern reicht der rote Faden vom antiken Griechenland und Rom bis hin zum neuzeitlichen Frankreich, England, Deutschland, Russland und zu den Vereinigten Staaten von Amerika, um antike und moderne Rituale miteinander zu vergleichen und somit Gleichartigkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede feststellen zu können.

Das erste Beispiel kommt natürlich aus Athen: Mit vollem Recht schreibt P. Low, Athen wäre zwar nicht der einzige griechische Staat, der öffentlich die im Krieg gefallenen Bürger ehrte, sondern derjenige, für den die Historiker die meisten Zeugnisse haben und der so paradigmatischen Charakter gewonnen habe. Unter dem Einfluss der modernen Figur des Unbekannten Soldaten schreibt P. Low (14), es gäbe neben den zehn Särgen für die Toten der zehn Phylen einen elften für die sterblichen Reste der unbekannten Gefallenen. Diese Sicht findet allerdings keine Bestätigung in den antiken Quellen: Nach Thukydides (2.34.2) handelt es sich um ein leeres Totenbett (und keinen Sarg) für die auf dem Schlachtfeld zurückgelassnen Toten. Mehrere Episoden in der athenischen Geschichte (z. B. während der Kämpfe des Sommers 425 im Umland von Korinth [s. Thukydides 4.44.5-6]) zeigen, wie wichtig es war, keine Gefallenen den Feinden zu überlassen. In der Folge seines Buches über den Krieg in hellenischer Zeit interessiert sich A. Chaniotis für die menschliche Seite der Erinnerungsbräuche jenseits der steinernen Denkmäler; er richtet seinen Blick auf die Aktualisierung der Vergangenheit in der Sozialisierung der jungen Männer und auf den Platz der Gefühle. Durch Beispiele zeigt er, wie das Gedächtnis etwas Lebendiges ist, das sich im Laufe der Zeit verändert.

Solch eine Kultur der Erinnerung an die Kriegstoten existierte in Rom grundsätzlich nicht. A. Cawley untersucht in seinem Beitrag zwei Sonderfälle der Erinnerung an Kriegstote am Ende der Republik und unter Kaiser Trajan. Während Cicero 43 v.Chr. Ehren nach der griechischen Art für den auf seiner Gesandtschaftsreise zu M. Antonius verstorbenen Sulpicius und für die beiden im Kampf gefallenen Konsuln Hirtius und Pansa vorschlug, haben die beiden Denkmäler in Adamklissi im heutigen Rumänien einen anderen Sinn. Bei dem einen Denkmal handelt es sich um einen Altar, auf dem die Namen von über 3800 gefallenen Römern aufgezeichnet waren; in seiner Nähe stand ein Rundbau, wahrscheinlich ein Tropaeum als ein Grab für einen gefallenen Feldherrn. Bei dem anderen Denkmal handelt es sich um das berühmte Tropaeum, das Trajan 108-109 errichten ließ: So wurde an eine Niederlage erinnert, um den nachfolgenden Sieg umso großartiger feiern zu können. Trajan hatte nämlich - so die Lesart des Ensembles von Adamklissi - die Niederlage des domitianischen Heers gerächt - obgleich dies bereits Domitian selbst getan hatte. So trägt das trajanische Denkmal die gleiche Botschaft wie der Panegyricus des Plinius: Nach den falschen Erfolgen Domitians kam der wahre Sieg Trajans über die Daker. So wurden die im Krieg gefallenen Soldaten zum Instrument der kaiserlichen Propaganda. Diese Art des Umgangs mit Kriegstoten war in der Tat ein typisch römischer Brauch: die zwei Fälle der im Kalender erinnerten Niederlagen zeigen an, dass die Römer sich nur an gerächte Niederlagen erinnerten.

Denkmäler haben auch ihre eigene Geschichte. In seinem Beitrag verfolgt A. Ben-Amos ähnliche Ziele wie A. Chaniotis, während er die politisch bedingten Veränderungen zweier Pariser Denkmäler in Form und Sinn analysiert. Es handelt sich dabei um das Pantheon und den Triumphbogen am Ende der Champs-Élysées. Noch mehr als die 'großen' Männer steht der Unbekannte Soldat im Vordergrund. Zunächst wollten die Politiker ihn im Pantheon bestatten. Aber nach dem Willen des Volkes wurde er unter dem Triumphbogen begraben. Wer diese Seiten von A. Ben-Amos liest, der stellt sich die Frage, ob diese Entscheidung einen unausgesprochenen Sinn hatte: den Unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen zu bestatten verhindert, den Bogen als Durchmarsch für siegreiche Truppen zu nutzen. So wäre der Krieg, in dem dieser Mann gefallen war, symbolisch der letzte. In den Gedächtnisorten von P. Nora gibt es keinen Beitrag über diesen Triumphbogen, obgleich dieses Monument, wie A. Ben-Amos zu zeigen vermag, eine wichtige Rolle im französischen republikanischen Zeremoniell spielt. Hatte man ihm nicht vergeben, dass er in seiner geheimen Pflicht als Bogen gegen den Krieg versagt hatte?

Im 19. Jahrhundert kam erneut die Idee auf, die Gemeinschaft sollte, wie im alten Griechenland, an den einzelnen Menschen erinnern. Es ist kein Zufall, dass diese Art der Erinnerung nach dem amerikanischen Sezessionskrieg wieder aufgegriffen wurde und nach dem Ersten Weltkrieg in der ganzen Welt praktiziert wurde. In diesen Kriegen war der Soldat ein für sein Land kämpfender Bürger - wie im alten Griechenland. Wie auf den attischen Erinnerungstafeln, so zeigt G. Oliver, sind alle Toten gleich, obschon die modernen Listen immer mit dem Namen der Chargierten anfangen; aber auch Athen machte auf die vom Volk gewählten Generäle, die vom Rat designierten Oberbefehlshaber der Schiffe und diejenigen, die die Sonderstellung eines Sehers oder eines Arztes innehatten, aufmerksam. Trotz des Vorbildcharakters der Antike übten die Vorbilder für die modernen Denkmäler nicht immer und nicht überall einen Einfluss auf diese aus. Überzeugend zeigt S. Goebel, dass das Vorbild des mittelalterlichen Kriegers in Großbritannien und in Deutschland eine große Rolle spielte. Die christliche Thematik der kriegerischen Heiligen fand hingegen keinen Widerhall in Frankreich. Für Engländer wie für Deutsche wurde die Wahl solcher Bilder auch durch die Kämpfe auf den flandrischen Schlachtfeldern des Hundertjährigen Krieges, durch die deutsche Ostkolonisation oder die Kreuzzüge im Orient bedingt.

Das letzte Beispiel (die in Washington nach dem Vietnamkrieg errichtete Mauer) stellt L.A. Trittle in die Tradition antiker Denkmäler. Der Verfasser ist ein Veteran dieses Krieges, der auch seine eigene Reaktion vor dem Denkmal und die Haltung von Hinterbliebenen, Kampfkameraden und Leuten, die keine Verbindung mit den Gefallenen haben, schildert. Dieses Denkmal verficht das Prinzip der Gleichheit noch stärker als die attischen Listen, weil es keinen Unterschied mehr zwischen Soldaten zeigt. Sinnhaft sind auch die zwei später beigefügten Statuengruppen, die 1984 und 1994 errichtet wurden: zuerst drei Soldaten - nämlich ein weißer, ein schwarzer und ein 'anderer' Soldat - sowie dann zwei Krankenschwestern. Durch diese letzten beiden Statuen erinnert sich die Gesellschaft nicht nur an die Gefallenen, sondern auch an die an Körper und Geist verwundeten Menschen. So ist diese Mauer Teil der Geschichte eines Volkes geworden. Der Verfasser bedauert, dass dieses Denkmal nicht zum Mittel einer Erziehung zum Frieden geworden sei. Vielleicht fehlt es an etwas, was Einrichtungen wie die beiden Erinnerungsorte in Caen und Peronne haben, die inmitten von vom Krieg verwüsteten und mit so viel Blut getränkten Gegenden stehen. Dort können die Enkel der Feinde über Frieden und menschliche Rechte sprechen. Was aber ist mächtiger, der Ort oder der Lauf der Zeit? Im Washingtoner Fall scheinen hingegen weder Ort noch Zeit günstig zu sein - einerseits zu weit von den asiatischen Schlachtfeldern entfernt, andererseits vielleicht zeitlich zu nah an den Geschehnissen. Dem Untertitel nach ist das in Washington errichtete Denkmal das Denkmal einer Niederlage. Sich an die Toten und Gefallenen eines Krieg zu erinnern - heißt dies sich an Sieg oder Niederlage zu erinnern? Für die meisten Menschen sicher nicht. Der Tod, der alle Unterschiede abschafft, hat auch auf diesem Gebiet kein Vorurteil.

Wie so oft bei dieser Art von Kolloquiumsakten fehlt dem Buch ein Abschluss. So bleibt es für seine Leser offen. Es lädt dazu ein, andere Formen der Erinnerung an im Krieg umgekommene Menschen in den Blick zu nehmen. So könnte man zum Beispiel untersuchen, wie die Dichter der Epik nicht nur die großen Heroen, sondern auch die Menschen ohne Eigenschaften in ihren Versen erwähnten, oder, ob - und wenn ja: wie - die mittelalterlichen Mönche in ihren Totenregistern den Kriegstoten einen besonderen Platz gaben. So könnte man auch sehen, ob es in diesem Gebiet im Mittelalter und in der frühen Neuzeit einen Unterschied zwischen den republikanischen Staaten und den Monarchien gab. Den Forschern öffenen sich noch viele Wege.

Anne Jacquemin