Rezension über:

Anita Rieche: Von Rom nach Las Vegas. Rekonstruktionen antiker römischer Architektur 1800 bis heute, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2012, 239 S., 131 Farb-, 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01457-7, EUR 29,95
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Rezension von:
Stefanie Klamm
Sammlung Fotografie, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Alexis Joachimides
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Klamm: Rezension von: Anita Rieche: Von Rom nach Las Vegas. Rekonstruktionen antiker römischer Architektur 1800 bis heute, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 12 [15.12.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/12/22272.html


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Anita Rieche: Von Rom nach Las Vegas

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In den letzten Jahren hat die Frage der Rekonstruktion zerstörter historischer Bauten und deren Berechtigung große Konjunktur erfahren. Davon zeugen die öffentlichen Debatten um das Berliner Stadtschloss oder die Dresdener Frauenkirche sowie zahlreiche Publikationen. [1] Der vorliegende Band von Anita Rieche widmet sich der Rekonstruktion in der Archäologie und damit einer Disziplin, die aufgrund ihrer Beschäftigung mit den Hinterlassenschaften häufig weit entfernter Vergangenheiten und ihrem stark fragmentarischen Erhaltungszustand immer zwingend rekonstruierend vorgehen muss. Bislang hat die Rekonstruktion dort noch nicht systematisch und themenübergreifend Aufmerksamkeit gefunden oder blieb häufig den Spezialdiskursen der Archäologen vorbehalten. [2]

Anita Rieche versucht mit ihrem Band zu den Rekonstruktionen antiker römischer Architektur diese Lücke zu schließen. Wie die Autorin in ihrer Einleitung hervorhebt, geht es ihr vor allem um Wiederaufbauten römischer Architektur in den letzten gut 200 Jahren, einsetzend mit den Ruinen in Landschaftsgärten gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Diese Eingrenzung ist verständlich, um der Fülle der Erscheinungen Herr zu werden. Mit der damit einhergehenden Beschränkung auf nahezu ausschließlich antike Steinarchitektur werden aber auch die archäologischen Phänomene in der Untersuchung kaum berücksichtigt, bei denen sich die Frage der Rekonstruktion in vielleicht noch fundamentalerer Weise stellt; nämlich flüchtigere Spuren der Vergangenheit, wie Bodenverfärbungen.

Einleitend widmet sich die Autorin dem Begriff der Rekonstruktion, den sie als "Prozess der gedanklichen Ergänzung oder Wiederherstellung eines nicht mehr vollständigen Objekts" beschreibt (9f.). Besonderes Augenmerk widmet sie der "archäologischen Rekonstruktion". Darunter versteht sie Wiederaufbauten antiker Gebäude nach Prinzipien der Denkmalpflege, die mit didaktischen Zielen, häufig am originalen Ort und auf den antiken Resten selbst, auf der Basis wissenschaftlicher Erforschung maß- und materialgetreu errichtet wurden (10, 12, 113-121). Anita Rieche konstatiert gleichwohl, dass die meisten Rekonstruktionen in anderen Kontexten und lange vor der Denkmalsgesetzgebung entstanden sind, während die Blütezeit der "archäologischen Rekonstruktion" in den 1970-1990er Jahren liege. Deshalb hat sie, wie die Beispiele der Getty-Villa in Malibu und der Handwerkerhäuser im Archäologischen Park von Xanten zeigen, Rekonstruktionen aufgenommen, die sich in sehr unterschiedlicher Weise an historischen Vorbildern orientieren. Während die Getty-Villa sich römischer Vorbilder als Versatzstücke bedient, um die Wirkung einer antiken Villa nachzuahmen, so liegen den Handwerkerhäusern minutiöse Untersuchungen der antiken Bautechnik und dort verwendeter Materialien zugrunde. Die Autorin will daher allgemeiner fragen, "was mit ihrem [der Rekonstruktion, Anm. Verf.] (Wieder-)Aufbau erreicht werden soll, welche Vorbilder ihnen zugrunde liegen und wie ihre Wirkung ist." (11)

Anita Rieche handelt nicht allein ausgewählte Rekonstruktionen ab, sondern untersucht Charakteristika und Typen der Rekonstruktion. Ihr Schwerpunkt liegt, bedingt durch die langjährige Tätigkeit der Autorin, auf Beispielen aus dem Archäologischen Park in Xanten. Darüber hinaus analysiert sie unter anderem die gebauten Ruinen im Landschaftsgarten Eulbach, das Pompejanum in Aschaffenburg, die Nachbauten stadtrömischer Katakomben in Valkenburg bei Maastricht, die Saalburg im Taunus, das Heilige Land bei Nijmegen und das Hotel Caesars Palace in Las Vegas.

Daneben bietet der Band thematisch orientierte Kapitel, so zum Beispiel zu Modellen, zum Verhältnis von topografischem Ort der Antike und neuzeitlichem der Rekonstruktion sowie zum Spannungsfeld zwischen dem Boden-Denkmal des antiken Überrests und der idealtypisch ergänzenden Rekonstruktion. Ebenso werden Fragen des Alterns einer Rekonstruktion bzw. ihrer Zeitgebundenheit und das Re-enactment von Rekonstruktionen behandelt. Anita Rieche beschäftigt sich mit dem Zitatcharakter von Rekonstruktionen - häufig werden drei Säulen übereck rekonstruiert nach dem Vorbild des Vespasianstempels auf dem Forum Romanum. Die Anastilosis, die Wiederaufrichtung antiker Bruchstücke, und die Translozierung in einen Museumsinnenraum werden von ihr folgerichtig auch als Rekonstruktion verstanden. Ansätze, die auf abstraktere Weise eine Raumwirkung nachvollziehen oder nachgestaltete Natur verwenden, werden ebenso aufgeführt wie digitale Rekonstruktionen, die in einem "rückwärts orientierten Entwurfsprozess" (205) entstehen. Virtuelle oder abstrahierende Rekonstruktionen haben den Vorteil, dass sie unsicheres Wissen bzw. Varianten und unterschiedliche Zeitschichten abbilden sowie konkret Erhaltenes von Ergänztem trennen können. Die gebaute Rekonstruktion dagegen ist häufig schwer veränderbar.

Die Vorgehensweise Anita Rieches bietet viele Vorteile, schließt sie doch das Problem der Rekonstruktion damit historisch und systematisch auf. Sie birgt jedoch die Schwierigkeit, dass ein und dasselbe Beispiel an verschiedenen Stellen erscheint und so Redundanzen auftreten. Ein sorgfältiges Lektorat hätte eventuell zur Straffung und Zuspitzung der Argumentation beitragen können und zum Verzicht auf die reine Erwähnung von Beispielen, die der Leser unter Umständen nicht kennt und somit auch nicht zuordnen kann, zugunsten einer Fokussierung auf das eigentliche Argument. Dadurch hätten auch die Abbildungen in einen engeren Bezug zum sie einbettenden Text gesetzt werden können.

Der Band besitzt keine Fußnoten und führt allein am Schluss der Kapitel einzelne Literaturangaben an, die in einem Verzeichnis am Ende aufgelöst werden. So sehr es nachvollziehbar ist, den reich und farbig bebilderten Band nicht mit einem großen Anmerkungsapparat zu überfrachten, so wünscht sich doch der am Thema interessierte Leser, genauere Quellenangaben und weiterführende Literatur nachschlagen zu können. Dies hätte zudem den Vorteil, dass man die angeführten Argumente aus der Sekundärliteratur auch direkt nachschlagen könnte. Vielleicht wäre das Setzen von Endnoten an wesentlichen Stellen, die am Abschluss des jeweiligen Kapitels erscheinen, ein sinnvoller Kompromiss gewesen.

Anita Rieches Monografie gibt auf gut lesbare Weise einen Überblick zu den vielfältigen Formen und Funktionszusammenhängen der Rekonstruktion in der Archäologie. Sie bewirkt damit eine Rehabilitation dieser Gattung, die letztlich 'Originale' in eigenem Recht hervorgebracht hat, und ihre Neubetrachtung im historischen Kontext. In der Archäologie wurden auch "'Kopien ohne Vorbild'" (12) mithilfe vielfältiger Analogien geschaffen. Wenn Rekonstruktionen, wie im Fall der Valkenburger Katakomben, die einen Zustand des frühen 20. Jahrhunderts konservieren, als Vorbilder bei heutigen Restaurierungen der immer stärker vom Verfall bedrohten stadtrömischen Grabanlagen dienen, verschiebt sich die Unterscheidung zwischen Original und Kopie der Rekonstruktion endgültig. Auf diese Weise kann der Band auch einen neuen Blick auf Fragen der Rekonstruktion insgesamt und die aktuelle Debatte in der Denkmalpflege werfen.


Anmerkungen:

[1] Winfried Nerdinger (Hg.): Geschichte der Rekonstruktion - Konstruktion der Geschichte, München u.a. 2010; Adrian von Buttlar / Gabi Dolff-Bonekämper / Michael S. Falser u.a. (Hgg.): Denkmalpflege statt Attrappenkult. Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern - eine Anthologie (= Bauwelt Fundamente, Architekturpolitik; Bd. 146), Gütersloh / Berlin 2011; Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.): Rekonstruktion in der Denkmalpflege. Überlegungen - Definitionen - Erfahrungsberichte, Bonn 1997.

[2] Hartwig Schmidt: "Archäologische Rekonstruktionen in Deutschland. Von der romantischen Gartenruine zum wissenschaftlichen Versuchslaboratorium", in: Geschichte der Rekonstruktion - Konstruktion der Geschichte, hg. v. Winfried Nerdinger, München u.a. 2010, 114-117; Martin Müller (Hg.): Schutzbauten und Rekonstruktionen in der Archäologie: von der Ausgrabung zur Präsentation (= Xantener Berichte; Bd. 19), Mainz 2011.

Stefanie Klamm