Rezension über:

David Roffe (ed.): The English and their Legacy (900 - 1200). Essays in Honour of Ann Williams, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2012, XVI + 288 S., ISBN 978-1-84383-794-7, EUR 75,45
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Rezension von:
Laury Sarti
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Laury Sarti: Rezension von: David Roffe (ed.): The English and their Legacy (900 - 1200). Essays in Honour of Ann Williams, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/04/23263.html


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David Roffe (ed.): The English and their Legacy (900 - 1200)

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Bei dem von David Roffe herausgegebenen Band handelt es sich um eine Festgabe an die britische Mediävistin Ann Williams, die für Ihre Arbeiten zum ausgehenden angelsächsischen England und dem Domesday Book bekannt ist. Unter ihren Werken zu diesem Thema befinden sich ihr Buch "The English and the Norman Conquest" [1], das erstmals die angelsächsische Bevölkerung ins Zentrum der Betrachtungen zur normannischen Eroberung Englands stellt, sowie zuletzt "The World Before Domesday. The English Aristocracy" [2], wo sie sich ausführlich mit den Veränderungen innerhalb der spätangelsächsischen Oberschicht befasst.

Ehemalige Schüler und befreundete Mediävisten ehren Ann Williams nun mit fünfzehn Beiträgen, die sich in grob chronologischer Ordnung ihren Forschungsschwerpunkten widmen. So erstaunt es nicht, dass zentrale Personen und Aspekte wie die spätangelsächsischen und normannischen Herzöge und Könige, der Teppich von Bayeux und vor allem das Domesday Book nicht nur in einem der Beiträge Erwähnung finden. Wie in den Arbeiten von Ann Williams steht auch hier der englische (gemeint sind alle Personen englischer Herkunft, d.h. Dänen und Angelsachsen) Adel und seine Stellung, sowohl vor als auch nach der normannischen Eroberung von 1066, im Zentrum der Untersuchungen. Dieses Thema stellt die Verbindung zwischen den einzelnen Aufsätzen her. Der Band enthält Beiträge zu Formen historischer Überlieferung, zu Familiengeschichte und Prosopographie, zur militärischen, politischen und administrativen Stellung und Funktion des Adels, sowie zu dessen Bedeutung und Wirken als Grundbesitzer.

Zunächst befasst sich William Aird mit der Frage, wie mit den Quellenangaben zu einzelnen Personen umgegangen werden soll, und unterstreicht dabei den Wert, den die dort enthaltenen Aussagen trotz ihrer Färbung und Kürze für unser Verständnis von den Menschen dieser entfernten Epoche haben können. Eine ähnliche Herangehensweise kennzeichnet den Beitrag von David Bates zum normannischen Autor Robert von Torigni. Unterstrichen wird der Wert seiner Gesta Normannorum Ducum als Zeitdokument, obwohl - so Bates - aus dem Werk an sich nur vereinzelt neue Erkenntnisse zum normannischen England gewonnen werden können. Auch Katharine Keats-Rohan stellt die gängige Sicht auf ein wichtiges Zeitzeugnis in Frage, indem sie auf die merklich positive Darstellung der englischen Seite im Teppich von Bayeux und damit auf die Möglichkeit hinweist, dass dieser nicht, wie allgemein angenommen, von Bischof Odo in Auftrag gegeben sein muss, da er vielmehr die Sicht des angelsächsischen Erzbischofs von Canterbury Stigand widergibt.

Mehrere Beiträge befassen sich mit den Spannungen zwischen den normannischen und den englischen Herrschaftsträgern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die bereits von Ann Williams dargelegte und hier von David Roffe diskutierte These, dass dem Domesday Book zu entnehmen sei, dass mehr englische Landbesitzer die Ereignisse nach 1066 überlebt haben als bisher vermutet, auch wenn sie insgesamt nur vergleichsweise wenige Zeugnisse hinterlassen haben. Emma Mason untersucht die unterschiedlichen Quellenaussagen zum Vorwurf Wilhelms des Eroberers an den von ihm 1076 ermordeten Earl Waltheof von Northumbrien, dieser habe, im Rahmen des sogenannten Aufstandes der Grafen, gegen ihn intrigiert.

Die Mehrheit der Beiträge befasst sich jedoch mit der englischen Oberschicht. Sally Harvey geht dabei der Frage nach den Ursachen für die Revolte gegen König Edward den Bekenner 1051/2 nach und wirft dabei die Möglichkeit auf, dass die Rivalen Eustace von Boulogne und Godwin von Wessex auch von wirtschaftlichen Interessen getrieben gewesen sein könnten, da sie sich in ihren jeweiligen Einflussgebieten Flandern und dem Pas-de-Calais wohl durch Währungsanpassungen durchzusetzen versucht hatten. Die kentische Münzprägung ist Ausgangspunkt für die prosopographische Untersuchung von Hirokazu Tsurushima, der auf die gesellschaftliche Stellung und Bedeutung der oft dem örtlichen Adel entstammenden Münzer hinweist. Lucy Marten widmet sich dem niederen Adel, indem sie anhand des Namens Swart über mehrere Generationen die Geschichte einer Thegn-Familie im Umfeld der dänischen Könige rekonstruiert und deren Adaptation unter angelsächsischer Dominanz nachvollzieht.

Ziel dieser Besprechung kann aber keine ausführliche Auseinandersetzung mit jedem der insgesamt doch sehr disparaten Beiträge sein. Um eine reine Aufzählung zu vermeiden, sollen die oben genannten Beispiele als Überblick genügen. Stattdessen soll nun beispielhaft auf den Beitrag von Charles Insley eingegangen werden. Er stellt die These auf, dass die Landgüter der Thegnfamilie Wulfric Spotts (gest. 1004), aus dem Kreis des Königs Æthelreds II, die Funktion einer Grenzmark und damit eines Puffers zwischen Northumbrien und Mercien einnahmen. Zu den wichtigste Merkmalen einer solchen Grenzmark gehörten im hohen Mittelalter, so Insley, flexible Begrenzungen, die potentielle Militarisierung, vor allem aber die Eigenschaft einer Kontaktzone, die unterschiedliche Gesellschaften oder Systeme miteinander verbindet. Ausgangspunkt für die Untersuchung ist das Testament des Thegns Wulfric, das durch die Abtei von Burton, einer seiner Stiftungen, bis heute erhalten blieb. Angesichts der für das frühe 11. Jahrhundert noch sehr spärlichen Überlieferung bietet dieses Dokument wertvolle Einblicke in die adligen Familienverhältnisse und deren politischen Funktionen. Insley zählt 74 Grundstücke, die Wulfric gehört haben müssen, von denen sich 48 in den Grenzgebieten von Derbyshire und Staffordshire konzentrieren. Insgesamt handelt es sich somit um einen beachtlichen Grundbesitz, auf dem sich auch einige militärische Befestigungen befanden. Sie alle lagen nahe an den Grenzen und Hauptverkehrswegen zwischen den ehemals rivalisierenden Königreichen. Diese geographische Verteilung und vor allem die Tatsache, dass eine solche Anhäufung von Grundbesitz kaum ohne Billigung der englischen Könige möglich gewesen sein dürfte, veranlassen Insley zu der Vermutung, dass die Besitztümer dieser Familie kein Zufall gewesen sein können. Vielmehr dürften die Könige zumindest einen Teil dieser Grundstücke bewusst in die Hände der Familie Wulfrics gelegt haben, da diese wohl als besonders vertrauenswürdig und loyal gegenüber dem englischen Königshaus galt. Da Northumbrien auch nach der Auflösung des rivalisierenden Königreichs von York 954 nach Autonomie strebte, sei die Notwendigkeit einer Sicherung dieser Region auch nach dieser Zeit gerechtfertigt. Eine erste königliche Schenkung an eine Person, die möglicherweise mit Wulfric direkt verwandt war, lässt sich in das Jahr 942 datieren, die Familie selbst war aber womöglich bereits davor in dieser Region ausreichend etabliert. Der Beitrag schließt mit der Feststellung, dass die Frage, ob die Wulfrics als eine Art Grenzmarkdynastie und ihre Güter als eine Mark zu verstehen seien, von der jeweiligen Definition einer solchen abhängt. Auch wenn Insleys Darlegungen insgesamt gut verständlich sind und ausgewogen erscheinen, lässt der Beitrag viele Fragen offen. Wie führte die Familie ihre militärische Funktion eines Grenzpuffers aus? Mit welcher Form der Unterstützung konnten sie dabei rechnen? Wulfrics Testament, das die Ausgangsbasis für die Untersuchungen bildet, liefert zu diesen Fragen natürlich keine Antwort, für die Untermauerung von Insleys These ist der Aspekt der Durchführbarkeit aber nicht unwesentlich. Für den Beitrag selbst ist das Fehlen einer Karte zu bedauern, welche die als Grenzmark vermuteten Grundstücke genauer verortet und damit die Darlegungen besser nachvollziehbar gemacht hätte. Insgesamt erscheint die These einer Grenzmark zwischen Mercien und Northumbrien aber durchaus plausibel und sie ließe sich womöglich nach einer ausführlicheren Untersuchung dieser Region weiter erhärten.

Der fast dreihundert Seiten umfassende Band, der durch eine Einleitung sowie eine persönliche Würdigung von S.D. Church eingeleitet und mit einer Bibliographie, einem Index, sowie einer Tabula Gratuloria schließt, enthält wichtige Beiträge zu einer turbulenten Zeit der Entstehung eines geeinten Englands - eine Zeit, die hier unter sehr unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht wird. Bemängelt werden kann vor allem, dass neben den Karten meist auf Abbildungen, so z.B. Münzen, verzichtet wurde. Wie in solchen Bänden oft unvermeidlich, ist auch die Qualität der einzelnen Aufsätze recht unterschiedlich. Vor allem aber sind die meisten Beiträge sehr knapp ausgefallen, wodurch die behandelten Fragen oft nur unzureichend behandelt werden konnten. Hier wäre ein größerer Seitenumfang oder aber eine striktere Auswahl der Aufsätze dem Band wohl zugute gekommen.

Seinem Charakter als Festgabe tut dies aber keinen Schaden. Die gesammelten Beiträge bieten einen wertvollen Einblick in die Forschung zu einem Themenfeld, das noch viele Fragen offen lässt und sie beleuchten eindrücklich die Möglichkeiten, die aus einer gründlichen Befragung scheinbar wenig ergiebiger Quellen für die Erweiterung unserer Kenntnisse resultieren. Die oft sehr persönlich gehaltenen und sich eng an die Forschungsinteressen von Ann Williams anlehnenden Untersuchungen stellen insgesamt eine durchaus gelungene Würdigung eines langen Forscherlebens dar.


Anmerkungen:

[1] Ann Williams: The English and the Norman Conquest, Woodbridge 1995.

[2] Ann Williams: The World Before Domesday. The English Aristocracy 900-1066, London 2008. Ähnlich bereits: Ann, Williams: Kingship and Government in Pre-Conquest England, c. 500-1066, London 1999.

Laury Sarti