Rezension über:

Carolin Behrmann / Matthias Bruhn / Stefan Trinks (Hgg.): Intuition und Institution. Kursbuch Horst Bredekamp, Berlin: Akademie Verlag 2012, 286 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-05-006094-1, EUR 99,80
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Rezension von:
Lucas Elmenhorst
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Elmenhorst: Rezension von: Carolin Behrmann / Matthias Bruhn / Stefan Trinks (Hgg.): Intuition und Institution. Kursbuch Horst Bredekamp, Berlin: Akademie Verlag 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 7/8 [15.07.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/07/23083.html


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Carolin Behrmann / Matthias Bruhn / Stefan Trinks (Hgg.): Intuition und Institution

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Horst Bredekamp, der mit dieser Festschrift zu seinem 65. Geburtstag geehrt wurde, ist ein glühender Anhänger des Humboldtschen Bildungsideals, eines gleichberechtigten Dialogs auf Augenhöhe. Bredekamp lebt Wissenschaft als eine Laborsituation oder Beziehungsgeflecht, als Annäherung von spannungsvollen Oppositionen. So verstanden stellt die intellektuelle Intuition des einzelnen Wissenschaftlers die Beständigkeit von Institutionen immer wieder in Frage - um sie gerade auf diese Weise überlebensfähig zu machen. Dies trifft auch und insbesondere auf die von Bredekamp im Rahmen des Warburg-Forschungsverbund Bilderfahrzeuge angestoßene Rettungsinitiative des von der Auflösung bedrohten Warburg-Institutes (und dessen Bibliothek) zu, - nicht nur dies eines seiner vielfältigen Verdienste, die angesichts der in den Feuilletons derzeit dominierenden, wohlfeilen Empörung über den Galileo-Fälschungsskandal in Vergessenheit zu geraten drohen.

Die Bezeichnung der Festschrift als ein Kursbuch verweist dabei auf Bredekamps rastlosen Curriculum Vitae, einer Laufbahn im Wortsinne, die ihn beständig zwischen diversen Institutionen in Berlin als Herzstück und der Quadriga aus Hertziana, KHI, Deutschem Forum und Getty hin- und hereilen lässt. Sie verweist zudem auf seine offensichtliche Begeisterung für Maritimes; ein Logbuch mag auch Bredekamps Selbstverständnis von Wissenschaft als einer ständigen Fahrt durch neue unbekannte Gewässer charakterisieren und so eine Übersicht über die mannigfaltigen Strecken und Verbindungen in seinem Wissenschaftskosmos von Bildersturm, Skulptur der Romanik, Kunst der Renaissance und des Manierismus, Politischer Ikonografie, Kunst und Technik und Neuen Medien liefern. Die 19 Beiträge zeigen die Vielfalt seiner Themen auf, die weit über den klassischen Kanon der Kunstgeschichte hinausgehen. Die Autoren stammen folglich aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Philologie, Kirchengeschichte, Religionsphilosophie, Soziologie, Erziehungswissenschaften, Archäologie und selbstverständlich auch der Kunstgeschichte. Die Beiträge reichen dabei von persönlichen Widmungen und anekdotisch angereicherten Berichten über weitsichtige Reflexionen der eigenen Institutionen bis hin zu Forschungsprogrammen und Grundsatzfragen, aus denen im Rahmen dieser Besprechung nur wenige herausgegriffen werden können und sollen.

Christof Thoenes, der Doyen der Michelangelo-Kunstgeschichte, thematisiert in einem Brief an Bredekamp die für Geisteswissenschaften zentrale Problematik des "Lost in Translation" aus geisteswissenschaftlicher Sicht ("Über Italienisch reden, Italienisch schreiben, Schreiben überhaupt"). Sein berührender, auf einer Schreibmaschine verfasster, "Blauer Brief der Romantik" ist als ein zeitlos gültiger Gruß an Bredekamp als Faksimile in dessen bevorzugter Typografie Courier in der Mitte des Buches abgedruckt. Thoenes' Reflexionen über die Herausforderungen des Schreibens hinterfragen auch die rasant zunehmende Gewohnheit, Englisch als durchgehende Lingua Franca hinzunehmen, und des mitunter die geistigen Feinheiten nivellierenden Pidgin-Englisch im wissenschaftlichen Diskurs. Ganz nebenbei auch ein Plädoyer für heute mitunter seltene, kurze konzentrierte wissenschaftlich Texte sollte dieser Brief in den Propädeutika für Kunstgeschichte als Lektüre empfohlen werden.

Einer der langjährigen Forschungsschwerpunkte von Bredekamp sind Sammlungen, die ihm als Wissensarchive für die stetige Generierung neuer Ideen, Fragestellungen und Provokationen dienen. Diese "Fundamentierungsfunktion" und "Impulsfunktion" von Sammlungen nimmt Hermann Parzinger zum Anlass, sich mit "Sammlungen und der Dynamik des Denkens" auseinanderzusetzen und ein flammendes Plädoyer auf den aktiven Beitrag der Wissensarchive (insonderheit der beeindruckend umfangreichen Bestände der Stiftung Preußischer Kulturbesitz - SPK) bei der Wissensproduktion zu halten, da Spitzenforschung ohne Beherrschung der Quellen nicht möglich sei. Er beklagt zu Recht, dass Grundlagenforschung in Zeiten des Bologna-Prozesses häufig nur dort und immer weniger an den Universitäten stattfindet. Indes gerät sein Überblick über die vielfältigen SPK-Bestände zu einer Tour d'Horizon, die im Bemühen um eine paritätische Würdigung aller dort vertretenen Sammlungen den Leser zu verlieren droht.

Dass Kultur kein dekorativer Luxus und nicht lediglich ein Standortfaktor im neoliberalen Wissenschaftsverständnis, sondern vielmehr ein menschliches Grundbedürfnis sei, wie Monika Grütters in ihrem feinsinnigen Plädoyer klarstellt ("Wieviel Kreativität brauchen Gesellschaft und Wissenschaft?"). Seinerzeit noch Vorstand der Stiftung Brandenburger Tor rief sie im Jahr 2000 mit Bredekamp, dem DAAD und der SPK gemeinsam die Rudolf-Arnheim-Gastprofessur ins Leben, die sich mit interkulturellen und außereuropäischen Kulturaspekten befasst - und damit bereits den Grundgedanken für das geplante Humboldt-Forum formulierte. Es bleibt spannend zu sehen, wie das geplante Humboldt-Forum diesen Anspruch umsetzen wird. Grütters Forderung nach einem im Grundgesetz verankerten Staatziel Kultur könnte insbesondere in den künftig zu erwartenden Zeiten rigider Sparmaßnahmen ein notwendiges Bekenntnis zu einem wesentlichen Grundwert unserer Gesellschaft sein.

Das bemerkenswerte an diesem ungewöhnlichen Kursbuch ist, dass es nicht wie viele Festschriften mitunter als Abladeplatz für anderweitig nicht veröffentlichte Aufsätze und Beiträge dient, sondern auch Bredekamps Wirken in vielen sehr persönlichen Anmerkungen beschreibt. So erwähnt Iain Boyd Whyte Bredekamps aschgraues Entsetzen über einen "späten Sieg Hitlers" bei einer gemeinsamen Sitzung, als ein Getty-Stipendiat eine Förderung seines Forschungsprojekts zu Poussin vollständig ohne deutschsprachige Literatur beantragte; aus dieser Erkenntnis über die zunehmend fehlende Fremdsprachkompetenz erwuchs dann das Projekt "Art in Translation" http://www.artintranslation.org.

In die "Schleppnetze des Wissens" geraten noch viele spannende Ausführungen, etwa über Alfred Barrs bislang nur ansatzweise erforschte Rolle am New Yorker MoMA als "Held der Moderne im Zeitalter der Extreme" von Gereon Sievernich oder die lesenswerten Überlegungen über die in politischen Diskussionen leider oft übersehene Bedeutung von außeruniversitären Forschungsinstituten von Peter Miller "Forschungsinstitute Then and Now", Peter Mack "Foundations for Humanities Research in 2020" oder Irving Lavin "Truth and Beauty at the Institute for Advanced Study". Das grafisch sehr sorgfältig gestaltete Buch trägt zum Lesegenuss bei und lässt den für Festschriften nicht ungewöhnlichen, anspruchsvollen Preis bald vergessen.

Lucas Elmenhorst