Rezension über:

Christian Mentel / Martin Sabrow (Hgg.): Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte, Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2014, 406 S., ISBN 978-3-596-19602-9, EUR 12,99
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Rezension von:
Cornelius Lehnguth
Goethe-Universität, Frankfurt/M.
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Empfohlene Zitierweise:
Cornelius Lehnguth: Rezension von: Christian Mentel / Martin Sabrow (Hgg.): Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte, Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/10/24968.html


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Christian Mentel / Martin Sabrow (Hgg.): Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit

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Gut drei Jahre nach Erscheinen der umstrittenen, von öffentlichen Auseinandersetzungen begleiteten Studie "Das Amt und die Vergangenheit" [1] haben Martin Sabrow und Christian Mentel eine aufschlussreiche Dokumentation der Debatte herausgegeben, die die wichtigsten Beiträge zusammenfasst und diese mithilfe einer umfangreichen Einleitung kenntnisreich kontextualisiert.

Der Studie vorangegangen war 2003 ein geschichtspolitischer Konflikt innerhalb des Auswärtigen Amtes über dessen Nachrufpraxis, der zwei Jahre später unter der Ägide des damaligen Außenministers Joschka Fischer zur Einsetzung einer internationalen Historikerkommission führte, der Eckart Conze (Marburg), Norbert Frei (Jena), Peter Hayes (Evanston) und Moshe Zimmermann (Jerusalem) angehörten. Bei dem umstrittenen Nachruf ging es um den verstorbenen ehemaligen Generalkonsul Franz Nüßlein in der Hauszeitschrift internAA, in der das Auswärtige Amt ihrem bis zu dessen Pensionierung 1974 tätigen Mitarbeiter trotz erwiesener Verstrickungen in die NS-Verbrechen ein "ehrendes Andenken" zu bewahren versprach. Nach der Beschwerde einer ehemaligen Mitarbeiterin gegen diese Nachrufpraxis unterband Außenminister Fischer die Würdigung verstorbener ehemaliger NSDAP- und SS-Mitglieder. Das führte nicht nur zur Veröffentlichung von privat finanzierten großformatigen Todesanzeigen ehemaliger Diplomaten in überregionalen Zeitungen, sondern zog auch die Kritik ehemaliger und teilweise aktiver Amtsangehöriger nach sich.

Die Dokumentation konzentriert sich auf die großen überregionalen Medien als maßgeblichen Ort der vom Herbst 2010 bis Ende 2012 andauernden Debatte, die sie in sechs chronologisch geordnete Abschnitte gliedert. Angefangen mit den Vorab-Reaktionen, die die offizielle Vorstellung durch das Auswärtige Amt vorwegnahmen, über Phasen einer zuweilen generationell und politisch konnotierten Polarisierung erreichte die Auseinandersetzung mit der beginnenden "Verfachlichung" ab Mitte 2011 ihren Siedepunkt und fand in der Folge ihr Ende.

Die Debatte erwies sich als sehr heterogen und komplex, insgesamt aber können fünf Themenbereiche der Kritik ausgemacht werden: Erstens war die Schwerpunktsetzung der Kommission, also die als einseitig beanstandete Fokussierung auf die Beteiligung des Auswärtigen Amtes am "Holocaust", der Kritik ausgesetzt, da dadurch andere Dimensionen der NS-Gewaltpolitik, etwa die Behandlung der Kriegsgefangenen und die "Euthanasie"-Politik, in den Hintergrund gedrängt worden seien. Zweitens wurde der Kommission ein teilweise fragwürdiger Umgang mit den Quellen vorgeworfen, der zu verzerrten Interpretationen geführt habe. Zudem wurde drittens die politische Unabhängigkeit der Kommission in Zweifel gezogen. Die Ergebnisse gäben mehr das Geschichtsbild Joschka Fischers als Auftraggeber wieder als den eigentlichen Forschungsstand. Damit war viertens auch die Frage nach der Kompetenz der einzelnen Kommissionsmitglieder verbunden, die insbesondere Historiker stellten, die zur Diplomatiegeschichte forschten, dabei aber teilweise zu anderen Ergebnissen gekommen waren. Fünftens war die Öffentlichkeitsarbeit des Verlags der Kritik ausgesetzt, weil er die nur wenigen neuen Erkenntnisse in reißerischer Art und Weise präsentiert habe.

Schaut man sich die einzelnen beanstandeten Punkte genau an, so lösen sich viele nach der Lektüre der Studie und der Dokumentation in Luft auf bzw. können teilweise als Scheingefechte interpretiert werden. So war die Schwerpunktsetzung dem Auftrag geschuldet, den die Kommission 2006 vom Auswärtigen Amt erhalten hatte, weswegen andere Themenbereiche gezwungenermaßen unterbelichtet bleiben mussten. Der fragwürdige Umgang mit den Quellen wurde unter anderem daran festgemacht, dass die Kommission die originalen Archivquellen zitierte und nicht die bereits in den Jahren zuvor aufbereitete Edition "Akten zur deutschen auswärtigen Politik" (ADAP) verwendete. Dieses Argument trug insbesondere der Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Rainer Blasius, vor, der als Autor einer Dissertation über Staatssekretär von Weizsäcker und ehemaliger Leiter der Abteilung des Instituts für Zeitgeschichte im Auswärtigen Amt bzw. der Edition "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" (AAPD) mit dem Gegenstand gut vertraut ist. Auffallend war, dass auch eher konservative Zunftvertreter wie Michael Stürmer, die Studie überwiegend wohlwollend beurteilten.

Im Vergleich zu anderen zeithistorischen Kontroversen ist das weitgehende Fehlen politischer Zuordnungen der Akteure auffallend. Nur noch in Umrissen ließ sich die Unterscheidung zwischen einem politisch konservativen Lager, das dem Auswärtigen Amt und seinen Vertretern positiv und der Studie eher ablehnend gegenüberstand, und einem linksliberalen Lager aufrechterhalten, das den Kommissionsbericht begrüßte und die darin skizzierte NS-Kontinuität auf die gesamte (west-)deutsche Gesellschaft bezog. Ablesbar ist dieser Umstand unter anderem daran, dass etwa Michael Stürmer die Studie lobte, ein linksliberaler Historiker wie Hans Mommsen jedoch zu ihren schärfsten Kritikern gehört. Was hingegen tendenziell wahrgenommen werden konnte, war die generationelle Aufladung der Debatte: Denn diejenigen, die noch persönlichen Kontakt zu Diplomaten gehabt hatten, die dem Auswärtigen Amt sowohl während des "Dritten Reiches" als auch danach in der Bundesrepublik angehört hatten, verteidigten die Kontinuitätspolitik umso mehr, als sie zum Teil Unterstützung durch die konservativen Medien erhielten. Doch selbst hier gab es keine Eindeutigkeiten mehr. Während der bereits erwähnte Rainer Blasius die Kommissionsarbeit von Anfang an scharf kritisierte, erhielt die Studie im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung große Zustimmung.

Dass die Kommissionsmitglieder Kritik auch provozierten, wird erkennbar an ihren teilweise undifferenzierten Gegenangriffen. Noch im Resümee der Kommissionsmitglieder in der Dokumentation übertreiben die vier Historiker, wenn sie von einer "Stimmungsmache" schreiben, "die sich bis hin zu ehrabschneiderischen Verleumdungen kumulativ radikalisierte" (402). Und auch das Interview von Eckart Conze, in dem er das Auswärtige Amt als "verbrecherische Organisation" bezeichnete [2], trug dazu bei, dass einige zunächst unentschlossene Akteure in den Chor der Kritik einstimmten.

Insgesamt ist die Dokumentation eine gelungene Kompilation, die einen Querschnitt der unterschiedlichen Reaktionen, Argumentationsweisen und Diskussionsstile bietet und damit das Spektrum der Debatte in seiner ganzen Breite abzubilden. Positiv ist zudem die Einbeziehung unterschiedlicher Textsorten; insbesondere die Leserbriefe und die Hörfunkinterviews vermitteln ein unmittelbares Bild der Debatte.


Anmerkungen:

[1] Eckart Conze / Norbert Frei / Peter Hayes / Moshe Zimmermann (Hgg.): Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010.

[2] Vgl. den Artikel " 'Verbrecherische Organisation' ", in: Der Spiegel 43/2010, 40-50.

Cornelius Lehnguth