Rezension über:

Stefan Schweizer: Die Erfindung der Gartenkunst. Gattungsautonomie - Diskursgeschichte - Kunstwerkanspruch (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 172), Berlin: Deutscher Kunstverlag 2013, 352 S., 95 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07140-7, EUR 48,00
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Rezension von:
Anna Ananieva
Institut für Kunstgeschichte, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz / Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Anna Ananieva: Rezension von: Stefan Schweizer: Die Erfindung der Gartenkunst. Gattungsautonomie - Diskursgeschichte - Kunstwerkanspruch, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 12 [15.12.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/12/23958.html


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Stefan Schweizer: Die Erfindung der Gartenkunst

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Die mannigfaltigen Verbindungen der Gartengestaltung zum Handwerk und zur Kunst, zum Alltag und zur Wissenschaft sorgen für die Präsenz der Gärten im kulturellen Gedächtnis. In der Komplexität dieser Wechselwirkungen, ihrer medialen und sozialen Reichweite sowie ihrer historischen Tiefe liegt einer der Gründe für das fachübergreifende Interesse für das Thema Garten, das nun seit mehreren Jahrzehnten anhält.

Die Studie von Stefan Schweizer beschäftigt sich aus kunsthistorischer Sicht mit der "Frage nach dem Kunstwerkcharakter von Gärten" (11). Mithilfe von historischer Diskursanalyse widmet sie sich den komplexen Zusammenhängen, die dazu geführt haben, dass die Gartengestaltung als "Gattung" einen Platz in dem frühneuzeitlichen System der Künste für sich beanspruchen konnte (12). Die Untersuchung rekonstruiert die "begriffliche Entwicklung von Gartenkunst" seit dem 16. Jahrhundert und spürt der Herausbildung des "Gattungsbewusstseins" (16) bis in die 1730er-Jahre nach. Dieser Zeitraum wurde in gartenbegrifflicher Hinsicht bislang nur unzureichend beleuchtet. Denn im Rampenlicht der Forschung stand bis jetzt eher die erfolgreiche Behauptung der Gartenkunst in der Hierarchie der schönen Künste im Verlauf des 18. Jahrhunderts.

Die Monografie "Die Erfindung der Gartenkunst" ist in vier inhaltliche Großabschnitte unterteilt: "1. Problemstellung", "2. Interpretative Voraussetzungen", "3. Konstituierung und Institutionalisierung der Gattung im Diskurs der Gartentheorie" und "4. Ergebnisse der Studie". Das erste Kapitel des Buches (11-85) setzt sich mit dem Gartendiskurs des 18.-20. Jahrhunderts auseinander, um in diesem weiten Feld eine Sichtachse auf die eigene Fragestellung frei zu legen. Die retrospektive Annäherung erfolgt hier problembezogen.

Im Zusammenhang mit der historischen Semantik der "Gartenkunst" werden Einblicke in die zentralen Begriffsbildungsprozesse des 18. Jahrhunderts gewährt. Es wird demonstriert, dass die lexikalische Fixierung in Zedlers "Universallexicon", d'Alemberts "Encyclodédie", Sulzers "Theorie der Schönen Künste" und Hirschfelds "Theorie der Gartenkunst" entscheidend zur Kanonisierung des Gegenstandsbereichs im Sinne einer "Gattungsautonomie" beitrug (70-85). Vor dem Hintergrund der durchgreifenden Autonomie der Künste blieb diese dank der Verbreitung des Landschaftsgartens erreichte Position der Gartenkunst jedoch nicht lange unhinterfragt. Was sich, wie Schweizer ausführt, bereits um 1800 in der Dilettantismuskritik äußerte (54-58).

Im 19. Jahrhundert musste die Stellung der Gartenkunst von verschiedenen Akteuren des Gartendiskurses sowohl in institutionellen, als auch in theorieästhetischen Zusammenhängen immer wieder verteidigt werden. Dass sie dabei vor einer neuen Herausforderung standen und nun mit der Herausbildung des neuen Systems der Wissenschaften konfrontiert wurden, lässt sich an der Historiografie der Gartenkunst ablesen. Diese stellt Schweizer in einen kunsthistoriografischen Zusammenhang moderner Provenienz (63-70). Den "Kunstwerkcharakter von Gärten" im Blick, konstatiert er eine vergleichsweise späte Etablierung der Gartenkunst im Rahmen der allgemeinen Kunstgeschichte (23-30). Kenntnisreich skizziert er die deutschsprachigen Studien zur Gartenkunstgeschichte, die im Zeitraum von 1856 bis 1914 aus verschiedenen fachlichen Richtungen kommend zur erneuten Konsolidierung der Gartenkunst beitrugen. Ausführlich vorgestellt werden hier die Schriften von Cohn, Teichert, Falke, Grisebach und Gothein, deren "Geschichte der Gartenkunst" schließlich eine standardsetzende Wirkung erzielte (34-54).

In der rückblickenden Darstellung der Problemlage der "Gartenkunst", die der Verfasser der Studie im Vorgriff seiner Rekonstruktion der frühneuzeitlichen Begriffsbildung ausbreitet, lassen sich zwei wesentliche Faktoren der modernen Entwicklung erkennen: Kunstautonomie und Verwissenschaftlichung sorgten einerseits für die Dynamik des Gartendiskurses, andererseits bedingten sie den prekären Charakter des Gegenstandsbereichs im Verlauf des 18.-20. Jahrhunderts.

Den empirischen Kern der Studie, bildet die Auseinandersetzung mit der frühneuzeitlichen "Literatur zum Garten als Kunstwerk" (107). Geführt wird sie im dritten Kapitel des Buches (107-306). Der Schwerpunkt des untersuchten Quellenmaterials liegt auf einer Auswahl deutscher und französischer Architekturtraktate und Bildwerke, Agrar- und Hausväterschriften sowie Reisebeschreibungen und Druckgrafik (18). Schweizer wertet sie exemplarisch aus und zieht dabei italienische und niederländische Beispiele heran. Überprüft wird hier eine der zentralen Thesen der Studie, dass die theoretischen Selbstreflexionen frühneuzeitlicher Akteure des Gartendiskurses die notwendigen Voraussetzungen für eine Integration als "Gattung theoretisch wie praktisch in das System der Künste" (16) bildeten. Wie dabei die "Gartenkunst" konstituiert und institutionalisiert wurde, zeigt der Verfasser der Studie anhand von drei "Leitmotiven" (104) auf: "Architektur" (107-143), "Agrarkultur und Haushaltung" (143-208) sowie "Entwurfspraxis" (208-280).

Als erste formulierten italienische Autoren wie Alberti und di Giorgio den "Hoheitsanspruch" (142) der Architektur, sodass fortan die Gartengestaltung zu den untergeordneten Elementen der "Baukunst" gerechnet wurde. In dem Prozess dieser Integration macht Schweizer im Verlauf des 16. Jahrhunderts gegenseitige Bezugsnahmen deutlich, wenn beispielsweise laut Serlio die Muster der Gartenparterre als Vorlagen für weitere Bauwerke dienen konnten (118) oder die Säulenordnung für eine stilistische Hierarchie der Gartenanlagen bei de Vries verwendet wurde (123). Europäische Architekturtheoretiker des 16.-17. Jahrhunderts beschäftigten sich sowohl mit den Gartenanlagen auf dem Land (Scamozzi) als auch in der Stadt (Daviler). Auf allen diesen Wirkungsfeldern gab die Kompetenz für den Entwurf den Ausschlag für die führende Rolle des Architekten und die Dominanz der Architektur. Das fehlende botanische oder technische Wissen, essentiell für den Pflanzen- und Wasserbau der frühneuzeitlichen Gärten, wurde in den architekturtheoretischen Schriften dieser Zeit kaum reflektiert (Furttenbach), so das Fazit (143).

Den ersten wesentlichen Beitrag zur Autonomie der Gartengestaltung leistete die Agrar- und Hausväterliteratur, wie Schweizer nach der Analyse der Schriften von Estienne, Coler, de Serres sowie van de Groen und Böckler feststellt (207). Ökonomische Erwägungen, die eine angemessene räumliche und funktionale Verbindung von Nutz- und Ziergärten fokussierten, verbanden sich mit den Anforderungen der adeligen Repräsentation (von Hoberg, Florinus). Die Lektüre dieser kunsthistorisch wenig beachteten Textsorte (143) erweist sich in Hinblick auf das Hauptanliegen der Studie als besonders fruchtbar. Hier findet Schweizer einen differenzierten Umgang mit der Gartengestaltung vor und kann einen hohen Reflexionsgrad der gartenbezogenen Schriften konstatieren.

Geometrie und Theologie lieferten zusätzliche Argumente für die ökonomisch und politisch vorformulierte Legitimation der sich formierenden "Gartenkunst", wie in der Studie anhand von Peschels Schrift "Garten-Ordnung" von 1597 ausgeführt wird. Auch das wachsende Bewusstsein für die Arbeitsteilung innerhalb der Gartengestaltung stärkte die frühen Autonomiebestrebungen und wurde zur wichtigen Voraussetzung der notwenigen Professionalisierung (208-218). "Als Schlüssel zum Gattungsaufstieg" bezeichnet der Verfasser der Studie mit Nachdruck die Zuständigkeit für den "künstlerische[n] Entwurf" (95, 279). Dass diese Kompetenz nicht nur beim Architekten, sondern nun auch beim entwerfenden "Gartenkünstler" lag, veranschaulicht die Studie mit der Analyse der Traktate von Claude Mollet und Jacques Boyceau de la Barauderie in Text und Bild.

Mit dem Erscheinen des Regelwerkes von d'Argenville (franz. 1709; dt. 1731) wurde schließlich die Selbstbehauptung der Gartenkunst besiegelt. In dem Erfolg dieses Buches sieht Schweizer den entscheidenden frühneuzeitlichen Beitrag zur "Kanonisierung der Gartenkunst als Gattung" (281), die - wie zum Abschluss des dritten Kapitels demonstriert wird - mit der lexikografischen Festsetzung der Fachsprache einhergeht (301-306). In dem letzten, vierten Kapitel fasst Schweizer die Ergebnisse seiner Studie kurz zusammen (307-317).

Was die formalen Aspekte des sauber gedruckten Buches im festen Einband angeht, wären bei der Fülle der in der Studie enthaltenen Informationen ein Namens- und ein Sachregister eine sinnvolle Ergänzung. Dadurch wäre auch das grafische Material der analysierten Schriften besser zu erschließen, aus dem die reich bebilderte Studie ihre zusätzliche Argumentationskraft schöpft. Ungünstig verschlankt wurde außerdem das Inhaltverzeichnis. Es spiegelt nur oberflächlich die tatsächliche Gliederung des Buches wider und verzichtet auf Eintragungen zur Unterteilung der Kapitel über die zweite Überschriftenebene hinaus. Im Bereich der formalen Gestaltungsmängel liegt auch eine unorthodox lockere Verteilung des Anmerkungsapparats über zwei aufgeschlagene Seiten, die eine vertiefende Lektüre erschwert.

In Hinblick auf die fachübergreifende Relevanz des Untersuchungsgegenstandes erscheinen die zentralen Begrifflichkeiten der Studie - "Kunstwerk" und "Gattung" - in analytischer Hinsicht als sperrig und werfen ungeachtet der Erläuterungen des Autors zu den "interpretativen Voraussetzungen" seiner Studie (2. Kapitel, 87-106) Fragen auf. Das Buch enthält gelungene Über- und Einblicke, die im Bereich der europäischen und deutschen Gartenkunstgeschichte als gut lesbare Handreichungen für Studierende verschiedener Fachrichtungen zweifelsohne Verwendung finden werden.

Mit dieser Publikation hat Stefan Schweizer eine kenntnis- und materialreiche Arbeit vorgelegt, die Grundlagen für die Begriffsgeschichte der Gartengestaltung liefert, ihre frühneuzeitlichen diskursiven Zusammenhänge stärker als bis jetzt geschehen beleuchtet und zu weiteren Auseinandersetzungen mit der künstlerischen und wissenschaftlichen Theorie und Praxis dieses Gegenstandsbereichs anregt.

Anna Ananieva