Rezension über:

Peter Schulz-Hageleit: Alternativen in der historisch-politischen Bildung. Mainstream der Geschichte: Erkundungen-Kritik-Unterricht, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014, 297 S., ISBN 978-3-89974951-9, EUR 32,80
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Rezension von:
Johannes Meyer-Hamme
Historisches Institut, Universität Paderborn
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Meyer-Hamme: Rezension von: Peter Schulz-Hageleit: Alternativen in der historisch-politischen Bildung. Mainstream der Geschichte: Erkundungen-Kritik-Unterricht, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 12 [15.12.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/12/25459.html


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Peter Schulz-Hageleit: Alternativen in der historisch-politischen Bildung

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Die in der öffentlichen Debatte vielfach postulierte Alternativlosigkeit politischer Entscheidungen fordert den renommierten Geschichtsdidaktiker Peter Schulz-Hageleit zum Widerspruch auf. Die Alternativmöglichkeiten und die Größe der Handlungsspielräume sollten ausgelotet werden. Genau hier habe die historisch-politische Bildung anzusetzen, indem die vielfältigen Alternativen aufgezeigt werden und somit ein Denken in Alternativen zum Gegenstand des historisch-politischen Lernens gemacht wird. Dies ist eine der Kernthesen des vorliegenden Bandes.

Es handelt sich bei diesem Buch um eine Zusammenstellung unterschiedlicher Texte von Schulz-Hageleit, zum Teil sind es Wiederabdrucke aus den Jahren 1978-2010, zum Teil sind es Erstveröffentlichungen. Insgesamt legt der Autor in diesem Band 22, meist kürzere Texte vor. Sie spiegeln seine zentralen Positionen im didaktischen Denken wider, die mit den Begriffen "Psychohistorie", "Kapitalismuskritik" und "Friedenserziehung" umschrieben werden können. Damit handelt es sich um eine Position, die nicht einfach im Mainstream der Geschichtswissenschaft oder Geschichtsdidaktik verortet werden kann, sondern es ist vielmehr eine Minderheitenposition, die aber aus Sicht des Rezensenten essentielle Fragen des Umgangs mit Geschichte im Allgemeinen und des historischen Lernens in der Schule im Besonderen aufwirft. "Die vorliegende Komposition von alten und neuen essayistischen Publikationen" schreibt Schulz-Hageleit, sollen sein "lebensgeschichtliches Bemühen um Vergangenheitsdurcharbeitung abrunden" (8). Die Zusammenstellung begründet er mit der noch "unabgegoltene(n) Programmatik" dieser Texte. Hier ist ihm sicher zuzustimmen, denn in der aktuellen geschichtsdidaktischen Debatte ist das Verhältnis von Kompetenzen historischen Denkens und den unbewussten Anteilen im Umgang mit Geschichte nur in Ansätzen reflektiert und berücksichtigt worden.

Der Band gliedert sich in fünf Abschnitte: der erste Abschnitt "Verantwortung für Wahrheit und Leben" umfasst vier Artikel, die das Potential einer psychoanalytisch argumentierenden Reflexion des Umgangs mit Geschichte herausstellen. Dabei argumentiert der Autor mit überzeugenden Einzelfällen. Dieser psychohistorische Ansatz wird im zweiten Abschnitt, unter der Überschrift "Krieg und Frieden" fortgeführt. Dies wird etwa in den Überlegungen zum Verhältnis von innerem und äußerem Frieden, oder auch zur Bedeutung der Säkularisierung deutlich. Im dritten Abschnitt werden diese Überlegungen auf die Kategorie "Geschichtsbewusstsein" bezogen, wobei unter anderem die Begriffe "Trauma", "Trauer", "Fortschritt", "Lernen aus der Geschichte" das Kategoriengeflecht verdeutlichen, mit dem Schulz-Hageleit didaktische Fragen bearbeitet. Deutlich wird hier, dass diese Kategorien interessante Erkenntnisse ermöglichen, im geschichtsdidaktischen Diskurs aber eher am Rande vorkommen. Die Verknüpfungen zu anderen Arbeiten zum "Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft" (Jeismann) sind vielfach angedeutet, aber nicht ausgeführt. Hier hätte der Rezensent einige Querverweise für sinnvoll gehalten, um die Stoßrichtung der Texte zu verdeutlichen.

Im vierten Abschnitt "Lernen - Bildung - Unterricht" zeigt Schulz-Hageleit ganz praktisch, wie für Lehrerinnen und Lehrer Alternativen aussehen können: Erstens druckt er einen "Aufruf zum Widerstand" von 1981 (gegen die Militarisierung der politischen Bildung) wieder ab, zweitens plädiert er völlig zu Recht dafür, die Subjektorientierung nicht nur auf die Lernenden zu beziehen, sondern genauso auch auf die Lehrenden. Im fünften Teil "Rückblick - Ausblick" verdeutlicht Schulz-Hageleit das Denken in Alternativen. Es gehe in der historisch-politischen Bildung nicht um ein Entweder-oder ("Voltaire oder Rousseau"), sondern darum, ein solches Denken in Dichotomien aufzubrechen. Hier bedient er sich des Begriffes der "Geschichtswahrheiten", der aus Sicht des Rezensenten etwas unglücklich erscheint. Gemeint sind damit besonders relevante, subjektiv bedeutsame historische Einsichten. Dabei schätzt Schulz-Hageleit die Möglichkeiten eines Denkens in Alternativen und Utopien durchaus realistisch ein, sie vergrößern die wahrgenommenen Handlungsspielräume, sodass vermeintliche Alternativlosigkeiten nicht als solche interpretiert werden, sondern nach Auswegen gesucht wird. Seine persönliche Utopie ist ein Umgang mit Geschichte, der eine innere Beziehung zu vergangenem Unrecht anerkennt und indem die Opfer der deutschen Geschichte betrauert werden. Denn "ohne innere Beziehung gerät Geschichte zu Statik, zum Abwehr- und Wiederholungszwang" (258). Deutlich wird hier, inwiefern Schulz-Hageleit aus seiner Biografie und Generation heraus sein geschichtsdidaktisches Denken entfaltet, weil er zugleich auch die Subjektperspektive als Autor herausstellt. Hier schließt sich der Kreis wieder, Schulz-Hageleit argumentiert - nicht nur in diesem Band - ausgehend von psychoanalytischen Überlegungen über die Frage von "Krieg und Frieden", deren Zusammenhang mit Geschichtsbewusstsein und Lernen, Bildung und Unterricht wieder zutiefst psychohistorisch ist.

Im Anhang finden sich ergänzende Materialien zu den einzelnen Kapiteln, die bisweilen kommentiert werden. Diese Kommentare leisten mehr als eine Kontextualisierung, sie sind ein Beispiel dafür, wie ein Autor involviert sein kann und seine Positionen explizit und damit diskutierbar macht. An manchen Stellen wünscht sich der Rezensent weitere Klärungen, denn einiges bleibt unklar bzw. fordert zum Widerspruch auf - etwa Fragen zum Geschichtsbegriff und zur Lernprogression, oder den unbewussten und emotionalen Anteilen historischen Denkens. Insgesamt liegt aber ein Band vor, mit dem sich ein Leser mit einer sehr relevanten und zugleich vom Mainstream abweichenden geschichtsdidaktischen Position auseinandersetzen kann, denn hier wird eine Alternative im geschichtsdidaktischen Denken angeboten. Zugleich ist der Band also ein Aufruf, auch in der Geschichtsdidaktik das Denken in Alternativen aufrecht zu erhalten.

Johannes Meyer-Hamme