Rezension über:

Maike Steinkamp / Bruno Reudenbach (Hgg.): Mittelalterbilder im Nationalsozialismus (= Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte. Studien, Theorien, Quellen; IX), Berlin: Akademie Verlag 2013, XII + 191 S., 41 s/w-Abb., ISBN 978-3-05-006096-5, EUR 49,80
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Rezension von:
Ulrich Rehm
Institut für Kunstgeschichte, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Rehm: Rezension von: Maike Steinkamp / Bruno Reudenbach (Hgg.): Mittelalterbilder im Nationalsozialismus, Berlin: Akademie Verlag 2013, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 4 [15.04.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/04/28411.html


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Maike Steinkamp / Bruno Reudenbach (Hgg.): Mittelalterbilder im Nationalsozialismus

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Eines wird aus der sukzessiven Lektüre der 12 Artikel dieses Bändchens deutlich: der Exzessivität an Mediävalismen während der Zeit Nationalsozialismus steht oft eine radikale Beliebigkeit gegenüber. Beispiel Nürnberg: Die in ihrer vermeintlich mittelalterlichen Tradition gepriesene Stadt - ohnehin von vornherein lediglich als Kulisse für Partei-Großveranstaltungen gedacht - war offenbar im Grunde auch ganz verzichtbar: Kaum zeigten sich erste Kriegszerstörungen, tröstete Goebbels mit der Aussicht, dass auch nach vollständiger Zerstörung die Stadt binnen eines Jahres wiedererricht sein werde - eine Stadt im übrigen, deren mittelalterliche Tradition durch eine 'schöpferische Denkmalpflege' längst einem 'rustikalen' Mittelalterbild unterworfen worden war (Alexander Schmidt). Ohnehin ging es letztlich nicht um originale Substanz: Die Ausstellung "Deutsche Größe", 1940 im Deutschen Museum in München eröffnet und dann in östliche und westliche Expansionsgebiete geschickt (Prag, Magdeburg, Breslau, Brüssel, Straßburg) kam ganz ohne ein Original aus (William J. Diebold). Und auch das Künstlerische interessierte letztlich nicht als solches, sondern allenfalls als Ausdruck nordisch-germanischen Volkstums einschließlich aller expansiver Implikationen. Die politisch zentralen, aber eben auch historisch wenig spezifischen Mediävalismen bestanden vor allem in Fahnenparaden und Fackelmärschen, das heißt in gruppendynamischen Überwältigungs- und Beschwörungspraktiken, die nicht selten pseudo-sakralen Charakter hatten. Selbst dort, wo man 'Ordensburgen' errichtete, blieb diese Bezeichnung eine rhetorische. Stilistisch hielt man sich hier lieber an bewährte Neuklassizismen, und faktisch gab man dem Orden selbst bereits 1938 den Todesstoß (Tomasz Torbus).

Dass sich die Mediävalismen zum Teil widersprachen, lag schon daran, dass die NS-Organisationen sich einen regelrechten Wettbewerb in politischer Geschichtsdeutung lieferten, vorne an Himmler und die SS. Seit 1935 wurden Historiker, Archäologen und Kunsthistoriker im Dachverband der Stiftung "Ahnenerbe" versammelt (Christian Welzbacher). Es war allerdings fast ausschließlich die Kulturpolitik, in der das 'Mittelalter' dominieren durfte, vor allem wenn es darum ging, das 'Germanisch-Nordische' gegenüber dem 'Griechisch-Römischen' aufzuwerten. In der Staats- und Parteirhetorik hingegen blieb die 'klassische' Antike die bervorzugte Referenzepoche (ders.).

Die mediale Breite der Kulturpolitik bot allerdings viel Raum für Mediävalismen. Die vorliegende Publikation allein behandelt Kunsthistoriografie, Film, Ausstellungswesen, Festumzüge, Städtekult und Städtebau, Denkmalpflege bzw. Überformungen historischer Architektur sowie militärische (Schau-)Aktionen mit historischen Hintergründen oder Requisiten.

Angesichts der schon häufiger festgestellten Tatsache, dass die umfangreiche internationale Mediävalismus-Forschung bisher in der deutschsprachigen Kunstgeschichte kaum angekommen ist, verwundert es nicht, dass die Beiträge gelegentlich etwas kleinteilig, jedenfalls ohne breitere Perspektive erscheinen. Allerdings lässt sich der Prozess dieser Art des Voranschreitens kaum vermeiden, wenn das Fach sich in Deutschland internationalen Standards annähern will. Und das erscheint angesichts der politischen Brisanz des Themas mehr als überfällig.

Gut tut da der historische Rückblick aus angelsächsisch geprägter Perspektive, wie Debbie Lewer ihn mit Aussicht auf ein größeres Forschungsvorhaben zur Weimarer Republik eröffnet. Ergänzend zum kunsthistorischen Blick auf diese Zeit erschien kurz nach der Hamburger Tagung (2010), die der Publikation zugrunde liegt, die literaturwissenschaftliche Studie Bastian Schlüters mit dem Titel "Explodierende Altertümlichkeit. Imaginationen vom Mittelalter zwischen den Weltkriegen". [1] Der Rezensent selbst hätte vom Austausch mit Maike Steinkamp profitieren können, deren Beitrag den Kunsthistoriker und -kritiker Paul Ferdinand Schmidt ins Spiel bringt. Ähnlich dem Museumsmann Alois Schardt, auf den die Autorin ausdrücklich verweist, hatte jener versucht, den Expressionismus unter Berufung auf vermeintlich nordisch-germanische Kunsttraditionen zu legitimieren, und er konnte sich dafür auf vorgeprägte Denkmodell (etwa Worringers) stützen. [2]

Auffällt bei der Gesamtlektüre des Bändchens, dass es sehr viele Überschneidungen zwischen den Einzelbeiträgen gibt, besonders, was die in den Blick genommenen Objekte betrifft, ohne dass allerdings Querverbindungen im Band gezogen würden. Die Reichsinsignien etwa tauchen in unterschiedlichen Zusammenhängen auf, da ihre Wiederaneignung, sei es in Kopie, sei es im Original, auf vielfältige mediale Weise verbreitet wurde; selbst akustisch: Bei einer Kölner Radiosendung anlässlich der Aachener Ausstellung "Deutsches Volk - Deutsche Arbeit" (1934, angeblich 750.000 Besucher!) lagen die schon 1915 produzierten Kopien der Reichsinsignien neben dem Mikrofon (Annelies Amberger).

In der Kunsthistoriografie fielen die Urteile darüber, welche Epoche die wirklich 'deutsche' sei, unterschiedlich aus, und das hatte offenbar auch mit den jeweiligen Gattungen und Materialien zu tun: In Stanges heute noch als Standardwerk angebotener Buchreihe "Deutsche Malerei der Gotik" gilt eben die Gotik als epochale Erfüllung eines vorbestimmten deutschen Schicksalsweges (Iris Gröteke). Der kunsttopografische Entwurf des Unternehmens unterstreicht die üblichen deutschen Expansionsfantasien. Die reaktionär-katholische "Liturgische Bewegung" dagegen (zugehörig z.B.: Heinrich Lützeler), die den Nationalsozialisten in Blut-, Boden-, Stammes- und Rassenideologie in nichts nachstand, lehnte die gotische Epoche als zu individualistisch ab und erfand dazu den bis heute nachwirkenden Topos gotischer Schaufreudigkeit (Gia Toussaint). Ihr galt die Romanik als Leitbild. Bei Wilhelm Pinder war es vor allem die Architektur ottonischer Zeit, auf die er rassenphysiognomische Vorstellungen projizierte, einschließlich deutlich militaristischer und (ost-)expansiver Implikationen (Bruno Reudenbach).

Mittelalterliche Skulptur wurde maßgeblich filmisch zur Wirkung gebracht. So waren es vor allem die filmischen Inszenierungen des Bamberger Reiters und der Naumburger Uta, die diese zu Idealfiguren vermeintlich nordischer Schönheit werden ließen (Nicola Valeska Weber). Riemenschneider konnte nicht zuletzt aufgrund des Materials Holz 'deutsche' Größe erlangen, hatte doch Pinder das Material als "Sonderleistung der deutschen Kunst" propagiert (Jeannet Hommers).

Es wäre für die letztlich immer noch den Kinderschuhen kaum entwachsene Forschungsrichtung hilfreich, wenn die bisher erkennbaren Leittopoi und Deutungsmuster, wie sie in der Akkumulation der im vorliegenden Band versammelten Beiträge erkennbar sind, im größeren Überblick dargestellt würden. Auch wenn man sich da schon von den Herausgebern eine gewisse Orientierung wünschte: Der Appell richtet sich an die kunsthistorische Fachgemeinschaft.


Anmerkungen:

[1] Bastian Schlüter: Explodierende Altertümlichkeit. Imaginationen vom Mittelalter zwischen den Weltkriegen, Göttingen 2011.

[2] Vgl. Alois J. Schardt: Ein Kunsthistoriker zwischen Weimarer Republik, "Drittem Reich" und Exil in Amerika (= Schriften zur modernen Kunsthistoriographie; Bd. 4), hgg. von Ruth Heftrig / Olaf Peters / Ulrich Rehm, Berlin 2013, 221-232.

Ulrich Rehm