Rezension über:

Karl-Heinz Willroth / Hans-Jürgen Beug / Friedrich Lüth u.a. (Hgg.): Slawen an der unteren Mittelelbe. Untersuchungen zur ländlichen Besiedlung, zum Burgenbau, zu Besiedlungsstrukturen und zum Landschaftswandel (= Frühmittelalterliche Archäologie zwischen Ostsee und Mittelmeer; Bd. 4), Wiesbaden: Reichert Verlag 2013, XIV + 306 S., ISBN 978-3-89500-962-4, EUR 49,80
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Rezension von:
Anne Klammt
Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Anne Klammt: Rezension von: Karl-Heinz Willroth / Hans-Jürgen Beug / Friedrich Lüth u.a. (Hgg.): Slawen an der unteren Mittelelbe. Untersuchungen zur ländlichen Besiedlung, zum Burgenbau, zu Besiedlungsstrukturen und zum Landschaftswandel, Wiesbaden: Reichert Verlag 2013, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 5 [15.05.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/05/28768.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Karl-Heinz Willroth / Hans-Jürgen Beug / Friedrich Lüth u.a. (Hgg.): Slawen an der unteren Mittelelbe

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Die untere Mittelelbe ist eine Grenzregion. Noch 1989 markierten Zäune und Türme die innerdeutsche Grenze, heute stoßen hier entlang der Elbe die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt aneinander. Im Frühmittelalter aber waren es sächsische und slawische Verbände, die das Gebiet mit Handelsorten und Burgen für etwa 500 Jahre zu einer Kontakt- und Grenzzone gestalteten. Davon zeugen eine frühe Burgenlandschaft besonderer Dichte und eine zwar lückenhafte, aber nennenswerte Überlieferung in den Annalen und Chroniken. Herausragend ist die Nennung des fränkischen Kastells "Hohbuoki" zu den Jahren 810 und 811 in den fränkischen Annalen sowie die Beschreibung der Schlacht bei "Lunkini" 929 durch Widukind von Corvey. Nicht zuletzt die Lokalisierung dieser beiden Orte war Ausgangspunkt eines interdisziplinären, 2004-2009 durchgeführten DFG-Projektes "Slawen an der unteren Mittelelbe".

Der hier zu besprechende Band dokumentiert das abschließende Kolloquium aller am Projekt beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unter Einbeziehung externer Experten im April 2010. Das Buch gliedert sich in acht thematische Blöcke mit zwei bis fünf Beiträgen, denen jeweils eine kurze fachliche Einleitung vorausgeht. Die insgesamt 25 Aufsätze und acht Einleitungen laufen in einer Synthese von Karl-Heinz Willroth zusammen, der einen diachronen Schnitt vom 6./7. bis zum 12. Jahrhundert versucht. Dieser Beitrag befindet sich am Ende des Bandes, doch sollte er unbedingt als Erstes gelesen werden, denn er verzahnt die sehr heterogenen Themenblöcke miteinander. Willroth bringt zudem eine Zusammenschau der Vorberichte aus dem Projekt, die eine wichtige Ergänzung zu dem Band bilden. [1]

Knapp zusammengefasst hat das Projekt eine sehr früh einsetzende slawische Aufsiedlung rechts der unteren Mittelelbe mit unbefestigten Siedlungen ab dem mittleren 7. Jahrhundert erbracht. Links der Elbe ist dagegen nach einer starken völkerwanderungszeitlichen Siedlungsausdünnung zunächst eine Phase spätsächsischer Besiedlung zu fassen, die sich mit einem Handelsplatz (Meetschow) und einer Burg (Schwedenschanze) am Elbübergang beim Höhbeck nachweisen ließ. Zum Ende der Sachsenkriege geriet die Höhbeckregion unter fränkische Herrschaft; der Platz Meetschow wurde befestigt und durch das Kastell Hohbuoki (Vietzer Schanze) zusätzlich gesichert. Der Ausgräber Jens Schneeweiß verbindet dieses Ensemble mit dem zum Jahr 805 genannten Grenzhandelsort Schezla. Rechts der Elbe wurden im späten 8. oder frühen 9. Jahrhundert in Friedrichsruhe und Lenzen-Neuehaus Burgen vom Feldberger Typ errichtet (vergleichend die Beiträge von Felix Biermann / Heike Kennecke und Sebastian Messal, 91-102), wobei das Fundmaterial von Friedrichsruhe auf einen beachtlichen Lebensstandard burggesessener Eliten hinweist (Messal, 231-237). Zur Mitte des 9. Jahrhunderts begannen die Slawen, das linkselbische Gebiet unter Verdrängung der sächsischen Bevölkerung in Besitz zu nehmen. Rechts der Elbe wurden in Lenzersilge eine Burg und in Lenzen-Neuehaus wie auch Friedrichsruhe an Stelle der alten Burg kleinere Befestigungen mit jeweils offener Vorburgsiedlung errichtet. 929 fand in dem Elbtal die Schlacht bei Lunkini zwischen Slawen und Sachsen statt. In der Folge ist unter sächsischer Herrschaft die Burg Lenzen ohne nennenswertes Siedlungsumfeld errichtet worden, während in Meetschow die Burg ausgebessert wurde. Beide Anlagen zeigen Hochwasserschäden, die auf die Mitte des 10. Jahrhunderts datieren und als Folgen übergreifender klimatischer Veränderungen eingeschätzt werden (Beiträge von Thomas Schatz sowie von Hans-Hubert und Barbara Leuschner / Michael Friedrich). Kurz vor 983 ging die mittlerweile aufgelassene Burg in Lenzen an die nach Süden expandierenden Obodriten über, bevor es zum Lutizenaufstand kam. Ob dieser Aufstand Meetschow einbezog, ist aufgrund der unklaren Befundlage nicht zu entscheiden (Schneeweiß / Kennecke). Die spätere Entwicklung während des 11.-12. Jahrhunderts war dann durch eine Abnahme der Burgen und nur rechts der Elbe durch eine Zunahme der offenen Siedlungen gekennzeichnet (Norbert Goßler / Biermann).

Interessant ist, dass sich ungeachtet der politischen Veränderungen die offenen Siedlungen und Vorburgsiedlungen beiderseits der Elbe nach eigenen Rhythmen entwickelten, für die naturräumliche Parameter eine wesentliche Rolle spielten. Für sie haben vor allem die Fundplätze am Höhbeck Hinweise auf eine starke Veränderung des Gewässerverlaufs gebracht. Ihre Rekonstruktion konnte erst in Ansätzen erarbeitet werden. Das Beispiel des heute nach dem Deichbau vollständig veränderten Verlaufs der Seege, an dem sich einst der Burg-Siedlungskomplex von Meetschow entlangzog, beweist aber die grundlegende Bedeutung der naturräumlichen Rekonstruktion. Tatsächlich ist derzeit nicht zu entscheiden, ob der Höhbeck im 8./9. Jahrhundert rechts des Hauptstroms der Elbe und erst ab dem 10./11. Jahrhundert links der Elbe lag, wie es Schneeweiß (117-124), versehen mit vielen Konjunktiven, zur Diskussion stellt und Willroth in der Beschreibung des fränkischen Kastells Hohbuoki (275) in Betracht zieht. Eine Vernässung der Talbereiche wiederum machen Goßler / Biermann als Ursachen einer Verlagerung der offenen Siedlungen auf höhere Lagen in spätslawischer Zeit aus. Zwar ist dies nicht völlig nachvollziehbar dargelegt (was auch einer nicht ganz fehlerfreien Bildredaktion im Band geschuldet ist), aber ihre Beobachtungen zur Veränderung der Grabentiefe in Lenzen-Neuehaus im 9. Jahrhundert sind aufschlussreich. Insgesamt aber diskutieren sie, wie auch Messal für Friedrichsruhe (125-130), stärker wirtschaftliche Veränderungen und politische Entwicklungen als Ursache von Wandel und Bruch der Siedlungsstruktur.

Die politische Situation wurde und wird im hohen Maße aus den spärlichen schriftlichen Quellen abgelesen. Die Forschung hat hierbei wiederholt die Linonen hervorgehoben, deren Verhältnis zu den Wilzen und Obodriten in der Frühzeit ebenso diskutiert wurde wie ihr Zusammenhang mit den erst im 11. Jahrhundert erwähnten Drevani. Sébastien Rossignol kommt nun zu der Auffassung, dass die Linonen ein Beispiel für eine begonnene, aber aufgrund der starken äußeren Einflussnahme abgebrochene Ethnogenese seien. Die kurz nacheinander (956 und 1004) erfolgten urkundlichen Nennungen der marca Lipani und der Drevani für in etwa dasselbe Gebiet sind für ihn Anzeichen instabiler Verbände links der Elbe. Hinsichtlich des Quellenwertes der ausführlichen Beschreibung Widukinds von der Schlacht bei Lunkini ist Rossignol vorsichtig und sieht in ihr eine Konstruktion ungleichzeitiger Elemente, derer sich Widukind aus narrativen Zwecken bedient habe. Biermann folgt Rossignols Bedenken, hält aber die Versatzstücke für authentische Erinnerungsberichte, aus denen der Chronist schöpfen konnte (151-158). Er schlägt daher angesichts der Neudatierung der Burg Lenzen (Biermann / Kennecke) eine Identifizierung der Stätte Lunkini mit der in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts zerstörten Burg Lenzen-Neuehaus vor. Schneeweiß bringt dagegen die Stätten Meetschow und Elbholz in die Diskussion ein (87).

Dem Charakter des Bandes entsprechend sind die Berichte zur Auswertung der Keramik von Meetschow (Caroline Völker), der Vorburgsiedlung Wustrow 10 (Goßler / Thomas Kinkeldey; Goßler / Markus Helfert), der Burg Friedrichsruhe (Dorothea Feiner) und dem Burgberg Lenzen (Martin Planert) knapp gehalten. Insbesondere aber die Vorlage der feinchronologisch gegliederten Keramik von Friedrichsruhe und Lenzen ist von großer Wichtigkeit, denn noch sind große, absolut datierte Keramiksequenzen selten. Der Komplex von Lenzen spielt zudem für die Frage nach dem Übergang zur Harten Grauware eine wichtige Rolle. Schneeweiß setzt ihn in Meetschow bereits im Verlauf des 11. Jahrhunderts an (89), während Planert in Lenzen noch im ganzen 12. Jahrhundert das Überwiegen spätslawischer Keramik feststellt. Mit der frühen Keramik von Meetschow wird aber einer der ersten großen Komplexe lokaler Ware spätsächsischer Zeit im nördlichen Niedersachsen vorgelegt. Dass sich diese Zeitscheibe auch durch eine andere Umweltnutzung und Versorgung mit tierischer Nahrung verbindet, gehört zu den bemerkenswerten Ergebnissen der paläozoologischen (Peggy Morgenstern) und archäobotanischen wie vegetationsgeschichtlichen (Hans-Jürgen Beug / Susanne Jahns / Jörg Christiansen sowie Hans-Peter Stika / Jahns) Untersuchungen.

Abschließend lässt sich festhalten, dass der Band zahlreiche Beobachtungen und Gedankenanstöße enthält, die einen reich für die etwas mühsame Lektüre der gestückelten Beiträge entlohnen. Mit Vorfreude darf man den Endpublikationen der Teilprojekte entgegenblicken.


Anmerkung:

[1] Diese Aufsätze sind überwiegend veröffentlicht in Felix Biermann / Thomas Kersting u.a. (Hgg.): Der Wandel um 1000. Beiträge der Sektion zur slawischen Frühgeschichte der 18. Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Greifswald, 23. bis 27. März 2009, Langenweißbach 2011; Jens Schneeweiß / Karl-Heinz Willroth (Hgg.): Slawen an der Elbe, Neumünster 2011.

Anne Klammt