Rezension über:

David Landau: Arik. The Life of Ariel Sharon, Or Yehuda: Kinneret Zmora-Bitan Dvir 2015, 467 S., ISBN 978-965-566-136-1
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Rezension von:
Tamar Amar-Dahl
Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Tamar Amar-Dahl: Rezension von: David Landau: Arik. The Life of Ariel Sharon, Or Yehuda: Kinneret Zmora-Bitan Dvir 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 7/8 [15.07.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/07/29141.html


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David Landau: Arik

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Wie lässt sich überzeugend die Lebensgeschichte eines Generals und Politikers erzählen, die so lang und zugleich scheinbar so zweideutig, trügerisch und zuweilen so verheerend ist? Ariel Sharons Biographie in eine historische Betrachtung zu verpacken, ist eine Herausforderung. Der kürzlich verstorbene britisch-israelische Journalist David Landau findet zwar meist die richtige Balance und eine durchaus gesunde Distanz zu seinem Untersuchungsobjekt, erzählt darüber hinaus die fesselnde Geschichte des zionistischen Israels über seine zentralen Zäsuren von seiner Gründung bis 2005, doch die historische Bedeutung seines "Helden" lässt der Autor unausgesprochen. [1]

Landau legt eine eher journalistische, dementsprechend beschreibende, mithin (zuweilen zu) detaillierte, dafür aber gut recherchierte Lebensgeschichte seines (Anti-)Helden vor. Er schreibt Ereignisgeschichte. Aus einer linkszionistischen Perspektive - im Sinne des innerisraelischen Diskurses zwischen Rechter und Linker - positioniert sich der Autor sehr kritisch: Sharon wird hier meist als Hardliner unter den israelischen Politikern dargestellt, der sein Leben lang der Ideologie der zionistischen Rechte treu war, dem aber gegen Ende seiner politischen Laufbahn eine Art Kehrwende gelungen sei.

Drei Erzählstränge verfolgt Landau: erstens Sharons persönliche, sehr erzählenswerte, tragisch-rührende Lebensgeschichte; zweitens Sharons militärische Laufbahn als Soldat und später als Offizier der israelischen Armee - von der jüdischen Hagana (Verteidigung) zur Yishuv-Zeit bis hin zu seinem legendären Beitrag in den diversen militärischen Einsätzen der Vergeltungskämpfe der frühen 1950er Jahre, im Sinai-Suez-Krieg 1956, im Sechstagkrieg 1967, im anschließenden Zermürbungskrieg 1967 bis 1969, und vor allem im verheerenden Yom-Kippur-Krieg 1973. General Sharon nahm in diesen Jahrzehnten an allen wichtigen Waffengängen teil und erwarb sich auf dem Schlachtfeld den Ruf als mutiger Frontkämpfer. Trotz seiner Siege hat es der widerspenstige Offizier nicht zum Generalstabschef der israelischen Armee gebracht - eine für ihn schmerzhafte Angelegenheit.

Der dritte Erzählstrang thematisiert Sharons politische Laufbahn, die sich ebenfalls über drei Jahrzehnte erstreckte: Vom ersten Versuch 1973, als er sich nach dem Ausscheiden aus dem Militär dem Likud unter Menachem Begin anschloss, dann 1976 als Gründer der neuen rechten Partei "Schlom-Zion", durch seine Amtszeit als Verteidigungsminister zwischen 1981 und 1984 mit der verheerenden Entscheidung für den Libanon-Krieg im Jahr 1982; damit einher ging auch Sharons Entmachtung 1984 durch einen Untersuchungsausschuss wegen seiner Verantwortung für das Massaker an Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila. In den 1990er Jahren gestaltete Sharon als Bauminister im Zuge der großen Welle jüdischer Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion das Land neu. In den Oslo-Jahren erhob er aus der Opposition seine aggressive Stimme gegen die Friedenspolitik von Itzhak Rabin und Shimon Peres, in der Regierung Netanjahu 1996 erhielt er den extra für ihn errichteten, einflussreichen Posten für Nationale Ressourcen, 1998 wurde er Außenminister.

Den Höhepunkt seiner politischen Karriere erreichte Ariel Sharon nach dem Ausbruch der Zweiten Intifada (2001-2005), die auch er mit seiner Oppositionsarbeit gegen die Friedenspolitik seines Vorgängers Ehud Barak (1999-2001) mit ausgelöst hatte. Mit dem Scheitern des Friedensprozesses, mit dem bewaffneten Aufstands der Palästinenser Ende 2000, als das Land endgültig aus den Fugen zu geraten drohte, wählten die Israelis ausgerechnet den Mann zum Premierminister, der laut Untersuchungsausschusses von 1984 für das Amt des Verteidigungsministers ungeeignet war. Zwischen 2001 und 2004 führte Sharon den Krieg gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten, bis er zu einem vermeintlichen Wendepunkt gelangte und die Entscheidung durch das israelische Parlament brachte, im Sommer 2005 den seit 1967 von Israel besetzten und besiedelten Gaza-Streifen zu räumen. Aus diesem Grund schied er aus dem Likud aus und gründete Ende 2005 eine neue Partei der Mitte, genannt Kadima.

Was war Ariel Sharon für ein Politiker? Wie prägte er Israels politische Ordnung und Kultur? Landaus Biographie formuliert keine klare Antwort. Sie erzählt chronologisch die Entwicklungen der politischen Person Sharon und wagt hie und da ein Urteil zu seiner konkreten Politik bzw. seiner Art, Politik zu betreiben. Landaus Ausführungen lässt sich entnehmen, dass Sharon - ein widerspenstiger, umstrittener Außenseiter - wie seine Weggefährten Menachem Begin, Itzhak Shamir, ja auch Itzhak Rabin und Shimon Peres im Kern ein zionistischer Politiker war. 1928 als Sohn russischer Immigranten in Palästina geboren stand Sharon sein Leben lang mit Leib und Seele hinter dem zionistischen Projekt im Lande Israel. Diesem Projekt widmete er sein Leben, diesem Projekt fühlte er sich bis zum Schluss persönlich verantwortlich.

Mitten im Friedensprozess der 1990er Jahre, als die Opposition gegen Rabins Regierung ihren Höhepunkt erreichte und die sogenannte arabische Stimme im israelischen Parlament benötigt wurde, erklärte Sharon: "Unsere Großeltern kamen hierher, nicht um eine Demokratie aufzubauen, die für sich genommen eine gute Sache ist, doch in erster Linie ging es um die Errichtung und den Erhalt eines jüdischen Staates." (219) Die Interessen des zionistischen Israel standen dabei im Vordergrund. Wie David Ben Gurion, Moshe Dayan und Shimon Peres in den 1950er und 1960er Jahren sah auch Sharon in den 1980er Jahren den Krieg als wichtiges Instrument der Politik. Wie Menachem Begin Ende der 1970er Jahre, der den Frieden mit Ägypten pragmatisch als Mittel ansah, um Israels Südgrenze nach drei Jahrzehnten zermürbenden Kampfs zu entlasten, so ging es auch dem Premier Sharon 2005 darum, Israel von einem enormen innen- und außenpolitischen Druck zu befreien. Daher setzte er die Räumung des besetzten Gaza-Streifens politisch durch.

Sicherheit, Immigration und Siedlung - die drei Säulen Israels zionistischer Politik - bilden auch zentrale Momente von Sharons politischer Laufbahn: In den Kriegen der ersten Jahrzehnte kämpfte Sharon und trug auch zur Eroberung des Landes bei; das Siedlungsprojekt förderte er mit Überzeugung und Hingabe und vertrat dabei das Modell von Großisrael - sprich: Eretz Israel - als jüdisches Land. Die Aliya aus der ehemaligen Sowjetunion lag ihm ebenso am Herzen; in den 1990er Jahren sorgte er mit einem großen Bauprogramm für die Einwanderer; und als Sicherheitspolitiker setzte er Waffen als legitimes Mittel der Politik ein, war aber zugleich in der Lage, zwischen 1979 und 1982 Begin die Unterstützung zu gewähren, um die Räumung von Sinai zu ermöglichen. Deshalb und weil er die Räumung des Gaza-Streifens durchsetzte, wird er auch als Friedenspolitiker bezeichnet (238).

Das Urteil über Sharon ist gespalten: Er wird entweder verachtet oder verehrt (211) und im Guten wie im Schlechten als Bulldozer (214) charakterisiert. 1984 galt er wegen des Krieges im Libanon als Aussätziger, ab 2001 wegen seiner Gewaltbereitschaft in der Zweiten Intifada aber als Heilbringer und als starker Mann in der Krise; als Bauer, als Gutsbesitzer und Agronom verkörperte er das zionistische Sinnbild des "Neuen Juden"; er verkörperte wie kaum ein Zweiter die Trias Kämpfer - General - Politiker und trug so zu einer politischen Kultur unter dem Primat der Sicherheit bei.

Doch Sharon war auch der besonders aggressive, unerbittliche Herausforderer der Regierung Peres (1984-1986) und der Regierung Rabin-Peres (1993-1996) sowie der Regierungen seiner Parteifreunde Itzhak Shamir (1990-1992) und Benjamin Netanjahu (1996-1999). Als Opportunist, als unermüdlicher Rebell, als machtorientierter und zuweilen auch korrupter Politiker stellte Sharon eine bemerkenswerte Gestalt der politischen Elite dar. Er war auf seine Art auch "einer von uns" (Yossi Beilin, 181), also ein eingefleischter Sicherheitspolitiker des "alten" linkszionistischen Establishments.

Die Stärke des Buches liegt in der Ausdauer, mit der Landau die lange, vielfältige, ermüdende und zugleich faszinierende Lebensgeschichte eines dominanten und vermeintlich widersprüchlichen Mannes wie Sharon nachgezeichnet hat. Landau hat meist den richtigen Ton gefunden und erzählt über die Biographie eines berühmt-berüchtigten Politikers kritisch und sachlich auch die tragische Geschichte Israels.


Anmerkung:

[1] Hier wird die hebräische Ausgabe besprochen. Die Originalausgabe erschien in englischer Sprache unter dem Titel: Arik. The Life of Ariel Sharon, New York 2014.

Tamar Amar-Dahl