Rezension über:

Holger Schaeben: Der Sohn des Teufels. Aus dem Erinnerungsarchiv des Walter Chmielewski, Zürich: Offizin 2015, 479 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-906276-18-2, EUR 24,80
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Rezension von:
Andrea Riedle
KZ-Gedenkstätte Dachau
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Andrea Riedle: Rezension von: Holger Schaeben: Der Sohn des Teufels. Aus dem Erinnerungsarchiv des Walter Chmielewski, Zürich: Offizin 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 11 [15.11.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/11/28946.html


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Holger Schaeben: Der Sohn des Teufels

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Das Buch "Der Sohn des Teufels" erzählt die Geschichte des 1929 geborenen Walter Chmielewski, Sohn des ehemaligen Gusener und Vughter Schutzhaftlagerführers Carl Chmielewski. Während es mittlerweile einige Bücher zu hochrangigen NS-Tätern aus der Perspektive der Kinder oder Enkelkinder gibt, sind Berichte von Angehörigen der KZ-Täter immer noch selten. Daher ist es begrüßenswert, dass sich Walter Chmielewski für die Verschriftlichung seiner Erinnerungen an den freien Autor Holger Schaeben gewendet hat.

Das Ergebnis ist weder ein reiner Erinnerungsbericht noch eine wissenschaftliche Abhandlung. Das Buch ist vielmehr dem Genre der dokumentarischen Literatur zuzuordnen. Schaeben kombiniert Zeitzeugenberichte und historische Erläuterungen mit fiktiven Sequenzen. In dieser Collage sind insbesondere die Dialoge oft frei erfunden.

Nach einer Vorbemerkung und einem Prolog folgen 36 Kapitel und zwei Nachkapitel. Der Autor behandelt die Geschichte nicht chronologisch, sondern beginnt mit Carl Chmielewskis Dienstzeit in Gusen und arbeitet mit Rückblicken. Auf Fußnoten verzichtet Schaeben vollständig, listet aber in einem Quellenverzeichnis Dokumente und Berichte auf, die er beim Schreiben der Kapitel verwendet hat. Auch ein kleiner Literaturanhang ist vorhanden.

Carl Chmielewski entwickelte sich in der Zeit der Weltwirtschaftskrise zum Nationalsozialisten, nachdem er sein Geschäft mit Elfenbeinschnitzereien aufgeben musste. Bei der SS machte Chmielewski, dem sein polnischer Name stets unangenehm war, schnell Karriere: 1933 gehörte er zum Stab des Reichsführers-SS, 1935 zum Stab des KZ Columbia und 1936 stieg er zum Verwaltungsführer im KZ Sachsenhausen auf. Es folgten Einsätze als Schutzhaftlagerführer im KZ Gusen ab 1940 und KZ Vught 1943. Als die Verbrechen im KZ Vught in der Bevölkerung bekannt wurden, fiel er in Ungnade und wurde 1944 von einem SS- und Polizeigericht in Berlin verurteilt und in das Straflager der SS und Polizei in Dachau und Allach eingewiesen.

Auf Grundlage der Erinnerungen des Sohnes und der Berichte ehemaliger Häftlinge entsteht ein Bild von der ambivalenten Persönlichkeit des Vaters. Carl Chmielewski liebte die schönen Dinge des Lebens wie Frauen, Autos, Kunstgegenstände und war passionierter Karpfenzüchter. Als im KZ Gusen archäologische Funde ausgegraben wurden, ließ er ein eigenes Museum dafür einrichten. Den Häftlingen gegenüber zeigte er sich von seiner hässlichen Seite. Im Lager beteiligte er sich an unzähligen Misshandlungen und Tötungen. Die Kameradschaft der Münchner "Sachsenhausener", zu denen neben Carl Chmielewski der dritte Schutzhaftlagerführer Anton Streitwieser und der Mauthausener Kommandant Franz Ziereis gehörten, spielte für das gewaltsame Regime im Lager eine wichtige Rolle.

In der Darstellung wird deutlich, wie für die Familie Chmieleweski das Leben neben Konzentrationslagern zur Normalität wurde. Walter ging wie selbstverständlich ins Lager zum Häftlingsfriseur und zum SS-Lagerarzt und fuhr in seiner Freizeit in Österreich am liebsten in einem von Häftlingen gebauten Boot auf der Gusen. Bei feierlichen Anlässen empfing die Ehefrau Maria, die in St. Georgen als Buchhalterin bei dem SS-eigenen Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke (DEST) arbeitete, die SS-Kollegen ihres Mannes und deren Familien zu Hause.

Auf der anderen Seite führte die "Arbeit" des Vaters zu Konflikten. Aus den Gesprächsfetzen, die Walter aufgeschnappte, geht hervor, dass sich Maria kritisch über die Zustände im Lager bzw. über das Verhalten ihres häufig alkoholisierten Ehemanns äußerte. Hinzu kam, dass Carl Chmielewski ihrem Vater, einem überzeugten Sozialdemokraten, mit KZ-Haft drohte. Ausschlaggebend für die Trennung 1943 war jedoch nicht das Verhalten des Ehemannes Häftlingen gegenüber, sondern dass er sie mit anderen Frauen betrog. Hinzu kam, dass Carl Chmielewski nach seiner Versetzung in das KZ Vught 1943 in Haft genommen wurde.

Der Sohn Walter erfüllte im Großen und Ganzen die Erwartungen des Vaters, zu dem er jedoch zeitlebens keine große Nähe entwickeln konnte. Obwohl die Mutter wenig davon begeistert war, wurde er in St. Georgen Fähnleinführer im Deutschen Jungvolk. Zuvor hatte sie ihn gegen Einwände ihres Ehemannes von der Napola-Schule in Potsdam nach Österreich geholt. In menschlicher Hinsicht wurde Walter vor allem von seiner Mutter beeinflusst. So freute er sich, als einem Häftling die Flucht mit seinem Fahrrad gelang. Als er in den letzten Kriegstagen als 15-Jähriger in den Kriegseinsatz geschickt wurde, meldete er sich freiwillig für die Erschießung eines sowjetischen Kriegsgefangenen und ließ diesen - nach eigener Aussage - im Wald entkommen. Nachdem er selbst in Gefangenschaft geriet, musste er an der ehemaligen "Arbeitsstätte" des Vaters im Lager Gusen Leichen von Häftlingen begraben. Diese Erinnerung blieb ihm nachhaltig im Gedächtnis.

Carl Chmielewski wurde nach dem Krieg mehrmals verurteilt, 1961 vom Ansbacher Schwurgericht zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe wegen 282 im KZ Gusen begangener Morde. 1979 wurde er begnadigt und lebte bis zu seinem Tode 1991 im Alter von 88 Jahren in Bernau am Chiemsee. Bei der Beerdigung sah sich Walter Chmielewski mit vielen überzeugten Nazis konfrontiert, die sich über das angebliche Unrecht gegenüber den ehemaligen NS-Tätern beklagten.

"Der Sohn des Teufels" ist spannend und verständlich geschrieben. Das Buch ermöglicht auch Lesern einen Zugang zum Thema, die keine historischen Fachbücher lesen. Interessant ist dabei vor allem die Frage, was die Familie von den Ereignissen im Lager mitbekommen hat und wie sie damit umging. Aufgrund der begrenzten Überlieferung kann dies zwar nicht vollständig beantwortet werden, aber immerhin ermöglicht das Buch eine Annäherung an das Thema.

An manchen Stellen fehlt im Buch die kritische Distanz, etwa wenn es um die Rolle der Ehefrau Maria geht. Dass es sich bei Carl Chmielewski um einen brutalen Massenmörder handelt, wird aber klar ersichtlich. Bedauerlich ist allerdings, dass dem Autor Holger Schaeben neben gelungenen historischen Einordnungen viele historische Verkürzungen und Fehler unterlaufen. Die Internierung der Berliner Sinti und Roma vor der Olympiade 1936 erfolgte nicht im KZ Sachsenhausen, sondern im eigens dafür eingerichteten "Zigeunerlager" in Berlin-Marzahn. Auch kann Walter das KZ Sachsenhausen nicht im Jahr 1935 das erste Mal von innen gesehen haben (20), da es erst 1936 errichtet wurde. "Kurth Eicke" hieß Theodor Eicke und war niemals Kommandant des KZ Sachsenhausen (161). Auch bei dem Thema der sowjetischen Kriegsgefangenen geht historisch einiges durcheinander (192). Weitere Beispiele lassen sich nennen. Kurz gesagt: Dem sonst lesenswerten Buch hätte das Lektorat durch einen fachkundigen Historiker sehr gut getan.

Andrea Riedle