Rezension über:

Sonja Dünnebeil (Hg.): Die Protokollbücher des Ordens vom Goldenen Vlies. Teil 4: Der Übergang an das Haus Habsburg (1477 bis 1480) (= Kieler Werkstücke. Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters; Bd. 17), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2016, 350 S., ISBN 978-3-631-66678-4, EUR 64,95
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Rezension von:
Heribert Müller
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Heribert Müller: Rezension von: Sonja Dünnebeil (Hg.): Die Protokollbücher des Ordens vom Goldenen Vlies. Teil 4: Der Übergang an das Haus Habsburg (1477 bis 1480), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 1 [15.01.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/01/29415.html


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Sonja Dünnebeil (Hg.): Die Protokollbücher des Ordens vom Goldenen Vlies

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Was kann und soll ein Rezensent zu dieser Edition noch anmerken, wenn in Vorrede und Einleitung bereits alles Wesentliche zu deren Ertrag gesagt ist, wenn jene von Werner Paravicini stammt, dem Burgundspezialisten schlechthin und spiritus rector der Ausgabe der Protokollbücher, wenn diese von Sonja Dünnebeil verfasst wurde, die ja bereits in drei Bänden die Protokolle der Feste des Ordens von 1430 bis 1473 samt einer Vielzahl von begleitenden Studien vorgelegt hat, und wenn ihre Editionen von der Fachwelt zu Recht als exemplarisch, kenntnisreich und umsichtig gewürdigt wurden? [1] All ihre durch langjährige Arbeit im Ordensarchiv, einem Depot im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, erworbenen Erfahrungen konnte die Herausgeberin in den nunmehr vierten Band einbringen, der vielleicht nicht so rasch erschien, wie wohl vorgesehen [2], doch was am Ende zählt, sind Kompetenz und Kontinuität. In der Summe läuft das Unternehmen und es läuft gut.

Weniger gut lief bekanntlich der im Titel angesprochene Übergang Burgunds an Habsburg, was sich auch in der Geschichte des Ordens jener Jahre spiegelt. Es ist eine Zeit der Unsicherheit, Wirren und Bedrohung, vor allem verursacht durch König Ludwig XI. von Frankreich: Etliche Ordensritter waren zu ihm, dem im Übrigen gut zahlenden, übergelaufen, und für seinen Anspruch auf das burgundische Erbe griff er immer wieder zu den Waffen, so dass damals nur ein einziges Ordensfest abgehalten werden konnte. Doch gerade einmal fünf Mitglieder fanden sich zur Eröffnung am 30. April 1478 in Brügge ein, und keine drei Tage später war praktisch schon das Ende gekommen, da Herzog Maximilian, der neue Ordenssouverän, gegen die in den Hennegau eingefallenen Franzosen zu Felde ziehen musste. Überaus groß ist die Zahl der nun folgenden Sondersitzungen, die sich mit Planung und - bezeichnenderweise - vor allem mit der wiederholten Verschiebung des nächsten Kapitels zu beschäftigen hatten, considerez les grans affaires survenus a mondit seigneur [Maximilian] et mesmement la disposicion evidente moult dangereuse de la guerre que lui continuoit et faisoit le roy de France (194). Hinzu kamen wohl Unsicherheit, ja Überforderung des Prinzen aus der Fremde angesichts einer Gemeinschaft, deren elitär-egalitäre Exklusivität, ungeachtet der zahlreichen Ritterorden der Zeit, singulär war. Vier Monate seit seiner Vermählung mit Karls des Kühnen Tochter Maria brauchte es trotz aller remonstrances, exhortacions, prieres, requestes et grans devoirs qui par messeigneurs les chevaliers freres ensemble les chancellier et autres officiers dudit ordre [...] avoient esté faites et souvent reiterees et renouvellees a mondit seigneur le duc (75), bis Maximilian seine Zusage gab, an die Spitze des Ordens zu treten.

Und als es dann soweit war, musste sich der Ordenskanzler an ihn, den des Französischen wenig Kundigen, in lateinischer Sprache wenden (§49, 50); Texte wollten für ihn und seine Umgebung übersetzt sein, und sehr lag ihm an der Zuwahl seines Hofmeisters und dann vor allem seines Vaters Friedrich III., der aber wegen der kaiserlichen Eidproblematik erst 1492 Aufnahme fand. Indes bald schon sollte Maximilian sich der Bedeutung des Vliesordens für seine Herrschaft durchaus bewusst sein, was auch nach Innen galt, da manche Ordensritter sich mit dem auswärtigen Fürsten an der Spitze schwer taten und dessen Wünsche oft unter Hinweis auf die Statuten abblockten. [3]

Trotz solch spezifischer Konstellation bietet sich das Material dem Historiker einmal mehr für jene Vielzahl unterschiedlicher Fragestellungen an, die ja schon den Wert der Protokolle früherer Kapitel ausmachte, insbesondere seitdem mit dem 1461 seine Tätigkeit als greffier des Ordens aufnehmenden Martin Steenberch die Berichte ausführlicher und detaillierter werden. Ob es um Symbol- und Zeremonialgeschichte und damit auch um die in jüngerer Forschung wieder stärker erörterte Relevanz von Rang und Sitz geht, was wiederum nach der fein austarierten Selbstwahrnehmung dieses zwischen herzoglicher Familie und den anderen Mitgliedern des Hofs situierten Zirkels fragen lässt, ob interne, eben auch den Souverän mit einschließende Auseinandersetzungen, ob Überprüfungen der Lebensführung und gegebenenfalls Schiedsgerichte anstanden, oder ob - zum Teil daraus, zum Teil aus der Diskussion um Zuwahlen erwachsende - politische Faktoren eine Rolle spielten, bei denen sich weite Dimensionen auftun konnten, da Könige von England über Kastilien bis Neapel dem Orden angehörten: All dies und vieles andere wartet nur auf den auswertenden Zugriff. Der Quellenfundus gewinnt zudem noch an Tiefe durch einen - seit dem ersten Band der Edition beigegebenen - Anhang mit Regesten, die im direkten Zusammenhang mit der Edition stehende Dokumente aus dem Ordensarchiv aufbereiten.

Etwas getrübt wird der positive Eindruck indes durch eine Vielzahl von Flüchtigkeits- und Tippfehlern in den deutschen Begleittexten, die sich von den Kopfregesten über den Sachkommentar bis zu besagtem Regestenanhang durchziehen, aber auch im Verzeichnis der Literatur (realiter: der gedruckten Quellen, Inventare und "Sekundär"-Literatur) begegnen. Nur zwei Beispiele: "Fol.81r-82v befindet als (einzelnes) Doppelblatt in die Lage eingefunden" (228 A. 260) - [Maximilian verpflichtet die Ordensangehörigen] "dass sich für ihn und seine Herrschaftsrechte jeder Zeit einzusetzen. Des Weiteren bestimmt er, das vorliegende Privileg Vorrecht vor anderen ... hat" (270). Solche Schnitzer deuten nicht gerade auf eine intensive Schlusslektüre, die es für den laut Vorwort bereits weit fortgeschrittenen 5.  Band schon deshalb anzumahnen gilt, weil eine ansonsten rundum gute Sache nicht schlecht "verpackt" werden sollte. Und schließlich ist kritisch anzufragen, warum das Deutsche Historische Institut Paris nicht zur Fortführung der Buchreihe "Instrumenta" bereit ist, in der die ersten drei Bände in mustergültiger Aufmachung erschienen, obwohl die Finanzierung des vierten gewährleistet war (vgl. 11). Der Hinweis auf die online-Publikation im Rahmen der "Prosopographia Burgundica" ist gut und schön (11, 321), allein der Rezensent hält es aus, wie er meint, gutem Grund mit der Devise seines akademischen Lehrers Erich Meuthen: "Was [sc.: auch] gedruckt ist, ist gedruckt." Paravicini und Dünnebeil meinten dies offensichtlich ebenso, da sie einen neuen Publikationsort suchten und fanden.

Am Ende ist man bekanntlich klüger: Doch, es gab sehr wohl noch einiges zu sagen, und das Gesagte summiert sich zur positiven Bilanz mit kleinen - und künftig leicht abstellbaren - Schönheitsfehlern.


Anmerkungen:

[1] Vgl. zu Bd. 3 Jacques Paviot, in: Francia-Recensio 2011/2 - Mittelalter; Klaus Oschema, in: ZHF 38 (2011), 694f.; Malte Prietzel, in: HZ 292 (2011), 493f.

[2] Vgl. CRAI a. 2009, 1576.

[3] Vgl. Sonja Dünnebeil: Der Orden vom Goldenen Vlies als Zeichen der burgundischen Einheit. Ideal oder Wirklichkeit unter Maximilian I.?, in: PCEEB 52 (2012), 113, 123.

Heribert Müller