Rezension über:

Emmanuel Gerard / Bruce Kuklick: Death in the Congo. Murdering Patrice Lumumba, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2015, XVI + 276 S., 6 Kt., 13 s/w-Abb., ISBN 978-0-674-72527-0, EUR 29,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Katrin Armborst
Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Katrin Armborst: Rezension von: Emmanuel Gerard / Bruce Kuklick: Death in the Congo. Murdering Patrice Lumumba, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 3 [15.03.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/03/27744.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Emmanuel Gerard / Bruce Kuklick: Death in the Congo

Textgröße: A A A

Warum wurde Patrick Lumumba ermordet? Als der charismatische erste Premierministers des Kongo 1961 auf mysteriöse Weise verschwand, war das ein brisantes weltpolitisches Ereignis. Die Zeitgenossen glaubten, der Kalte Krieg um Afrika entscheide sich in der heutigen Demokratischen Republik Kongo und an der Person Lumumba. Sein Tod, nur sieben Monate nach der Unabhängigkeit seines Landes von brutaler Kolonialherrschaft, gilt zugleich als Symbol für die gescheiterte Hoffnung auf echte Unabhängigkeit ehemaliger Kolonien nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent. Es ist die große Stärke von "Death in the Congo", dass Emmanuel Gerard und Bruce Kuklick auf der Suche nach den Gründen für Lumumbas Tod nicht nur einen Akteur, sondern eine Reihe internationaler wie nationaler Akteure gleichwertig untersuchen. Damit liefern sie neue Erkenntnisse für mehrere Forschungsbereiche und haben zugleich ein wunderbar klar und unaufgeregt geschriebenes, nicht zuletzt sehr spannendes Buch vorgelegt.

Lange von Geheimnissen umgeben, sind Todesursache, Zeitpunkt und Täter mittlerweile seit ein paar Jahren bekannt: Ein belgischer Polizist erschoss Patrice Lumumba am Abend des 17. Januar 1961 auf Anordnung aus höchsten Kreisen der ehemaligen Kolonialmacht Belgien. Parlamentarische Untersuchungskommissionen in Brüssel und Washington haben diesen politischen Mord ebenso wie Attentatspläne der CIA umfassend aufgearbeitet.

Trotzdem ist die Faszination von Autoren und Publikum an Lumumba und seinem Tod ungebrochen. Ein Grund ist sicher die hollywoodreife Dramatik der Geschichte. Interessant für die Forschung bleibt das Thema, weil sich hier Weltpolitik mit nationalen Prozessen der Staatswerdung und die Nord-Süd-Konfrontation mit dem Ost-West-Konflikt verbanden. Patrice Lumumba versuchte, die USA und die Sowjetunion gegeneinander auszuspielen, Kongos vormalige Kolonialherrschaft Belgien kränkte er mit selbstbewusster Konfrontation, und er überwarf sich mit den Vereinten Nationen, während sein junger Staat sich in rasender Geschwindigkeit selbst zerlegte. Lumumbas Gesicht mit dem charakteristischen Spitzbart, durch die Presse weltweit bekannt, wurde zur Projektionsfläche postkolonialer Hoffnungen, Enttäuschungen, insbesondere aber von mit den massiven Veränderungen verbundenen Ängsten. Es gab viele, denen sein Tod gelegen kam.

Die Autoren, Professoren für Geschichte an den Universitäten Leuven und Pennsylvania, meistern die Herausforderung glänzend, die hohe Dynamik und Komplexität in der Kongokrise unaufgeregt, aber spannend und gut strukturiert zu beschreiben. Für wesentliche Akteure des Dramas - für Lumumbas politische Konkurrenten, für Belgien, die USA und die Vereinten Nationen - analysieren sie die Gründe, Lumumbas Sturz oder Tod zu planen, zu unterstützen oder zu verhindern. Sie resümieren am Ende überzeugend und anders als frühere Arbeiten, es habe weder eine Verschwörung, noch einen einzelnen Bösewicht gegeben, sondern eine fatale Dynamik, "a process of murder" (218).

Gerard und Kuklick verfolgen einen konsequent personenzentrierten Ansatz mit Akteuren als Triebfedern der Geschichte. Gegliedert ist das Buch in 14 Kapitel, die sich an der Chronologie der Ereignisse zwischen der Unabhängigkeit des Kongo im Sommer 1960 und dem Tod Lumumbas im Januar 1961 orientieren.

Sehr gut tut dem Buch, dass hier zwei Experten unterschiedlicher Forschungsbereiche kooperieren. Gerade die Kapitel zu Belgien bieten neue und spannende Erkenntnisse. Die Kongokrise wird plausibel als Katalysator beschrieben, der den brisanten Machtkonflikt zwischen König Baudoin II. und den Regierungen Eyskens und Spaak eskalieren ließ - mit dem Auftrag zum Mord an Lumumba als eine logische Folge.

Die Literatur zur Rolle der USA, der Regierung Eisenhower und des CIA, ist bereits umfangreich; hier liefert das Buch eher interessante Blickwinkel auf Bekanntes. Etwas schwächer sind die Kapitel zur kongolesischen Politelite und den Vereinten Nationen mit ihrer militärischen Friedensmission im Kongo (ONUC). Dies sind aber auch weder die besonderen Kompetenzbereiche der Autoren, noch gibt es hier gute Forschungsliteratur, auf die sie sich hatten stützen können. Afrikanisten werden sich an dem zwar kolonialkritischen, aber doch noch oft recht westlich-"weißen" Blick auf die kongolesischen Akteure stören. Die Thesen zu Motiven der kongolesischen Akteure sind jedoch interessant, hier wäre weitere Forschung nötig.

Plausibel herausgearbeitet und durch zum Teil neue Quellen gut beleuchtet wird das problematische Verhältnis zwischen Lumumba und UN-Generalsekretär Hammarskjöld. Bei der Bewertung der Konsequenzen lösen die Autoren aber nicht das Problem, wie man den besonderen Charakter des Akteurs Vereinte Nationen als internationale Organisation wissenschaftlich fassen kann. Das führt zu Widersprüchen bei der Einschätzung der Kapazitäten von UN und ONUC und einer ungerecht harten Beurteilung von Dag Hammarskjöld.

Das Buch richtet sich an ein breites Publikum, auch außerhalb wissenschaftlicher Fachkreise. Diese populärwissenschaftliche Ausrichtung merkt man positiv an der leicht zu lesenden, klaren und ungemein spannenden Darstellung. Mit ihrer Sparsamkeit an Verweisen zur Forschungsliteratur gehen die Autoren an einigen Stellen aber zu weit, hier fehlen Belege zu ganzen Argumentationsketten. Auch die Quellenverweise schwanken auffällig. Teilweise wird sehr ausführlich zitiert, an anderer Stelle fehlen dagegen Belege ganz. Wirklich gut ist der Forschungsüberblick, den die Autoren statt einer simplen Literaturliste an das Ende des Buches gestellt haben.

Lesen sollte das Buch jeder, der spannend erzählte, wahre Kriminalgeschichten schätzt, der Personenstudien mag und an der Kongokrise und der internationalen Geschichte der 1960er Jahre interessiert ist. "Death in the Congo" zeigt einmal mehr die hohe Relevanz der Kongokrise für eine Reihe von Forschungsgebieten. Das Buch ergänzt die vorhandene Literatur um neue Erkenntnisse in allen behandelten Bereichen, besonders aber für Belgiens Kongo- und Innenpolitik. Nahezu jedes Kapitel des Buches bietet Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen.

Katrin Armborst