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Rezension von:
Josef Johannes Schmid
Mainz / Manubach
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Josef Johannes Schmid: Zu filmschaffenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts (Rezension), in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 12 [15.12.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/12/31044.html


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Zu filmschaffenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts

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Film und Geschichte gehören ohne Zweifel zu den interessantesten Beziehungspaaren im weit gestreuten Feld zeitgenössischer Kulturgeschichte. Wie immer man dieses Gegenüber angehen mag, sei es als Geschichte des Films zu bestimmten historischen Zeiten, oder aber mit dem Blick auf Geschichte als Gegenstand filmischer Produktion (ein Ansatz, welcher naturgemäß eine deutliche breitere historische Zeitspanne erschließt) - die Relevanz hinsichtlich nicht nur der Medien- und Kommunikationsgeschichte, sondern allgemein auch der Mentalitäts-, Alltags- und Politikgeschichte sowie solcher Felder wie Identitätsstiftung oder kulturelle Selbstdarstellung ist beträchtlich.

Von daher erscheint es reizvoll, in einer Bücherrundschau vier in der letzten Zeit erschienene Werke zu filmschaffenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts - jenseits der hier nicht zu behandelnden cineastischen und persönlich-biografischen Aspekte - etwas näher auf ihre historische Signifikanz hin zu beleuchten; näherhin handelt es sich um Biografien dreier herausragender Schauspieler, nämlich John Waynes (1907-1979), Louis de Funès' (1914-1983) und Ingrid Bergmans (1915-1982), sowie des Regisseurs Fritz Lang (1890-1976). Schon die weitgehend identische Lebensepoche legt einige Vergleichsmomente nahe.

Beginnen wir mit Aspekten der Sozialgeschichte - hier könnten die Unterschiede deutlicher nicht sein. Kindheit und Jugend John Waynes (eigentlich Marion Robert Morrison), Sohn eines mehr oder weniger gescheiterten Pharmazieangestellten, können als Ausweis der Rastlosigkeit der Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelten; der Zug seiner Familie als Farmer nach Westen, nachdem die Rudimente einer bürgerlichen Existenz im Osten zusammengebrochen waren, und zudem als spätes Erbe jener Westward ho-Bewegung, welche die zweite Hälfte des vorangehenden Säkulums gekennzeichnet hatte und zum Inhalt so vieler Filme Waynes in der Folgezeit werden sollte. De Funès (eigentlich Louis Germain David de Funès de Galarza), Sohn eines einst als Rechtsanwalt praktizierenden, später ins Diamantenschneidehandwerk wechselnden galizischen Adelssprosses, kann schon aufgrund der Migrationsdynamik seiner Familie ähnliche Mobilität aufweisen, während bei Bergman allenfalls die halbdeutsche Abstammung und die daraus resultierende polyglotte Sprachbegabung (wie de Funès) bemerkenswert sind. Demgegenüber wirken Langs Kindheit und Jugend, behütet als Sohn eines Wiener Stadtbaumeisters, eher unspektakulär, wurden sie doch erst vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs erschüttert, welcher den jungen Mann dann als Freiwilligen im Einsatz sah. All diese Punkte werden in allen behandelten Werken schlüssig und gut nachvollziehbar erörtert, die verfügbare Quellengrundlage weitestgehend - am stärksten wohl bei Wydra - ausgeschöpft.

Ein weiterer bezeichnender Themenkreis ist sicherlich die Hauptkrise des 20. Jahrhunderts, das Aufkommen der totalitären Regime sowie der Zweite Weltkrieg. Hier ist Fritz Lang von besonderem Interesse, da er aufgrund seiner Emigration in die USA und der dann dort entstandenen, massiv ideologisch geprägten Werke oft als Beispiel cineastischen Widerstands gegen die Hitlerdiktatur gilt. Hier kann Grob sehr schön und sprechend Widersprüche aus den 1920er-Jahren aufzeigen, vor allem in Bezug auf den bis heute ungeklärten Tod seiner ersten (jüdischen) Frau Elisabeth Rosenthal und das schon zu Ehezeiten bestehende Verhältnis zu seiner zweiten Gattin und überzeugten Nationalsozialistin Thea von Harbou. Vielleicht hätte man hier noch intensiver auf die näheren Umstände um Langs zweifellos berühmtesten Film Metropolis (D 1927) eingehen können, der lange Zeit als Demaskierung und Warnung vor der maschinengleich waltenden NS-Ideologie galt, von welchem der Regisseur sich allerdings im Nachhinein ungewöhnlich deutlich distanzierte. 1933 verließ Lang Deutschland, 1934 wurde er von Harbou geschieden.

Bergmans Einstellung zu Nazideutschland muss ebenfalls als unklar gelten: noch 1938 drehte sie - heute fast vergessen - in Berlin Die vier Gesellen, wozu sie sich eines Ariernachweises unterziehen musste. Etwa zeitgleich hielt sie die Nazis für eine "temporary aberration, 'too foolish to be taken seriously.'" Eine von Deutschland ausgehende Kriegsgefahr hielt sie, seltsam naiv, für wenig wahrscheinlich - "The good people there would not permit it". [1] Wie Lang im Falle von Metropolis, hielt auch Bergman ihren deutlichsten politischen Film, Casablanca (1942), für überbewertet und mochte ihn nicht sonderlich.

Was Bergman hingegen relativ - und, betrachtet man die Zeitumstände, sogar unglaublich - unproblematisch gelang, fiel Lang überaus schwer: die Integration in die amerikanische Filmszene der 1940er-Jahre. Nicht nur wurde sein 1941 entstandener Man Hunt von den amerikanischen Behörden zunächst aufgrund seiner zu antideutschen Botschaft zurückgehalten, auch die Anknüpfung an typische US-Genres, allen voran der Westernfilm (ebenfalls 1940 The Return of Frank James für 20th Century Fox als Sequel zu dem ein Jahr zuvor erschienenen Jesse James, sowie 1941 Western Union mit Randolph Scott in der Hauptrolle) gelang ebenso zögerlich wie die Gewöhnung an amerikanische Arbeitsbedingungen.

Beides - das Western-Genre und Hollywood - hatte John Wayne nach seinem Erstlingserfolg The Big Trail (USA 1930) in zehn mühsamen Jahren als Protagonist unzähliger B-Movies kennengelernt, war dabei aber als Gesicht, Typus und Topos einem Millionenpublikum gerade in den ländlichen Gebieten des zunehmend erschlossenen Midwest (für welches das two nickel Saturday afternoon movie oftmals die einzige soziale Unterhaltungsmöglichkeit der Woche bot) bekannt geworden. Als ihn John Ford dann 1939 als (Anti-)Held für die Jahrhundertproduktion Stagecoach entdeckte, folgte der breiten Bekanntheit der offizielle Ruhm, welcher bis zu seinem Tode 1979 nicht mehr verblassen sollte. Vor diesem und der zunehmend auch politisch konnotierten Figur Wayne (s.u.) treten im allgemeinen Bewusstsein Elemente seiner frühen Zeit, so die Mitgliedschaft in den Bruderschaften des Order of De Molay, der Trojan Knights und der Sigma Chy ebenso zurück wie seine Begeisterung für sozialistische Ideale. Spätestens mit Kriegsbeginn 1941 waren diese Orientierungen obsolet, doch war Wayne zu diesem Zeitpunkt schon so populär, dass John Ford für ihn - und gegen seinen Willen - eine Freistellung vom Militärdienst durchsetzen konnte. So blieb dem mittlerweile zur Ikone des tough American Mutierten als war effort lediglich die Darstellung von Kriegshelden und damit ein weiteres Gattungsfeld.

De Funès wurde durch die Kapitulation Frankreichs 1940 zwar auch der Militärpflicht ledig, durchlebte im besetzten Paris als Barpianist allerdings weniger erbauliche Momente; sehr eindringlich wirkt hier Loubiers Schilderung des Razzienalltags (von resistance-Gruppen und Gestapo), während derer de Funès lernte, das Klavier so zu positionieren, dass er im Bedarfsfall schnell dahinter in Deckung gehen konnte. Sein wichtigster Beitrag zur Geschichte des Weltkriegs kam erst über zwanzig Jahre später, als er in Gerard Ourys Riesenerfolg La grande vadrouille (1966) Besatzung und Besatzungsfolgen als Opfer bleibend komisch thematisieren, das Reden über diese Zeit in Frankreich wieder enttabuisieren und so einem heiklen Thema manche Schärfe nehmen konnte. In den Jahren 1945 bis 1963 aber hatte er sich, wie zuvor Wayne, mit dem oft tristen, seriellen Alltag einer Filmlandschaft begnügen müssen, deren Produktionen heute entweder niemand mehr kennt, oder deren Hauptrollen anderen Stars vorbehalten blieben.

Damit sind wir in der Periode der Nachkriegszeit des Kalten Krieges angelangt. Bergman sah sich zu dieser Zeit schon als Vorkämpferin eines - zumeist weiblich besetzten - Ideals (dazu unten); eindringlich und eindrücklich bleibt nach der Lektüre von Wydras Werk die Schilderung der erniedrigenden Szene, in der sie versuchte, im Sommer 1945 ein Jeanne d'Arc-Werk vor GIs in Deutschland zu rezitieren, von diesen aber nur ein unflätiges Echo fand.

Lang kehrte nach zunehmender Ernüchterung in den Staaten nach Deutschland zurück, in welchem sein als "indisches Epos" konzipierter Zweiteiler nicht den erwünschten Erfolg zeitigte und dessen Nachkriegskinowelle, für die der Erfolg der Edgar Wallace-Filme als symptomatisch gelten kann, er schließlich sogar das Erbe seiner Dr. Mabuse-Filme dem Abklatsch Die tausend Augen des Dr. Mabuse (1960) opferte.

Diese Welle der Ernüchterung schwappte über Wayne erst in den 1970er-Jahren hinweg, nachdem er sich in der Zwischenzeit als politisches Aushängeschild des amerikanischen Konservatismus etabliert hatte und zum Inbegriff des antikommunistischen Selbstbehauptungswillens geworden war. Dieses Engagement brachte ihm die aktive Mitwirkung in der von ihm mitbegründeten Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals (Februar 1944, Präsidentschaft 1949), zwei (eventuell drei) versuchte Anschläge auf sein Leben durch sowjetische Agenten [2] und schließlich eine klare Positionierung im Vietnamkrieg ein. [3] Der von ihm initiierte, gedrehte und produzierte Epos The Alamo (1960), in welchem er auch die Rolle des frontier man Davy Crockett verkörperte, kann als Ausweis seines politischen Ideals gelten, der lange Republikanismus-Monolog etwa in der Hälfte des Filmes als sein gesellschaftliches Credo.

Insgesamt hat Wayne sicher mehr als jede andere hier interessierende Gestalt zur politischen Diskussion, aber auch nationaler Identitätsfindung und Selbstbehauptung beigetragen (vielleicht mehr als jeder andere Künstler des 20. Jahrhunderts, aber das kann hier nicht vertieft werden). Doch sollte man auch de Funès' entsprechenden Beitrag und Impetus nicht außer Acht lassen - die Inkarnation des quasi idealen Franzosen, die Überwindung des gleichsam kontinuierlichen Chaos durch - wiewohl meist komische und keineswegs a priori sympathische - Individualität. In Anspielungen, Randszenen und Implikationen ließ de Funès keinen Zweifel an der berechtigten Größe und elitären Tradition des Landes aufkommen, von der Gastronomie und dem Guide Michelin (Le grand restaurant, 1966 und L'aile ou la cuisse, 1976), über technische Errungenschaften (die Concorde und die Normandie in Le gendarme à New York, 1965) bis hin zu den letztlich nie infrage gestellten institutionellen Stützen des Staates, Gendarmerie, Armee und Kirche. Leider kommt bei Loubier de Funès' Einsatz für die Erhaltung von Werten der katholischen Überlieferung in den 1970er-Jahren etwas zu kurz; zu Verständnis und Würdigung der Gesamtpersönlichkeit ist er hingegen unerlässlich.

Bleibt am Ende die Frage nach Weiterwirkung und Rezeptionsgeschichte. Auf Waynes diesbezügliche Funktion wurde schon hingewiesen, diese außerdem in dem grundlegenden Werk von Roberts und Olson [4] deutlich herausgearbeitet. Scott bleibt eher im Biografischen an sich, wichtig sind allenfalls die Hinweise auf die frühen Jahre als ungewöhnliches Beispiel zur Ausprägung einer cinematic icon. Pointierter und bislang unterschätzt erscheint nach der Lektüre von Wydra die Rolle Bergmans bei der Ausprägung des "modernen" Frauenbildes im 20. Jahrhundert - dies besonders, da sie eigentlich in allem als Gegentyp zu Frauencharakteren wie Marlene Dietrich, Vivian Leigh oder gar Marilyn Monroe gelten kann und muss. Während die in den Persönlichkeiten Wayne und Bergman angelegten Ansprüche und Ambitionen also vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich große Folgewirkung beanspruchen können, erscheint die Bilanz bei de Funès und Lang eher bescheiden. De Funès' Frankreich kann als Idealporträt einer Zeit gelten - einer Zeit allerdings, die unwiederbringlich vergangen ist. Von daher kommt seinem Schaffen nur historischer (und natürlich unerhörter künstlerischer) Wert zu - dies aber massiv und in höherem Maße als für vergleichbare Schauspielerviten. Für Fritz Lang bleibt das Resümee ungewiss, seiner Rückkehr in die Heimat war kein bleibender Erfolg beschieden, Mensch und Künstler waren schon zu Lebzeiten zu einer überlebten Legende anderer Empfindungen und anderer Ästhetik geworden. Während Wayne seine Transformation zum Nationalsymbol trotz vielfach gewandelter Welt- und Gesellschaftslage intensiv miterleben und aktiv mitgestalten konnte, blieb Lang dies verwehrt. Zurecht setzt Grob an das Ende seines Lebensbildes das Zitat: "und wenn er dann nach Hause kommt, ist er daheim ein fremder Mann".

Beschließen wir diesen Rundblick mit einem Ausblick auf Grundlage und Gehalt der behandelten Bücher. Alle zeichnen sich durch eine solide Dokumentation aus, die seriös-gewissenhafte Recherche steht nirgendwo in Frage. Neuwert kann vor allem Wydra aufgrund seiner im Vergleich zu Vorgängerwerken deutlich erweiterten Quellenbasis beanspruchen. Dies gilt auch für Loubier, der mit seiner Arbeit eigentlich die erste ernsthafte Biografie de Funès' im strengen Wortsinn vorlegt. Auch mit Grobs Lang'schem Œuvre liegt nunmehr eine zweifellos maßstabsetzende Publikation vor, welche ihre Bedeutung noch lange erweisen wird. Eymans Werk ist vielleicht ein wenig stärker kompilatorisch geprägt, dabei aber äußerst lesenswert und leserfreundlich. Wenn seine John Wayne-Biografie nicht ganz den Stellenwert einiger anderer seiner Studien, vor allem jene grundlegenden zu Cecil B. DeMille [5], Louis B. Meyer [6] oder der Tonfilmrevolution in den späten 1920er-Jahren [7] erreicht, so soll dies nicht abwertend verstanden sein.

Alle vier hier vorgestellten Bücher bereichern in vielfacher Hinsicht sowohl den interessierten Laien wie auch den Fachwissenschaftler; alle weisen darüber hinaus einen hohen Informationswert zu jeweils ganz spezifischen Elementen der Zeit- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts auf. Von daher sollte ihnen auch im Kontext der Historiografie der gebührende Platz zukommen - als Ausweis eben jenes faszinierenden Beziehungsgeflechtes Film und Geschichte.


Anmerkungen:

[1] Charlotte Chandler: Ingrid. Ingrid Bergman. A Personal Biography, New York 2007, 293f.

[2] Vgl. dazu: Michael Mann: John Wayne - the Man Behind the Myth, London 2005, 186-202.

[3] S. dazu v.a. den auch von ihm gedrehten und gespielten, von seinem Sohn Michael produzierten The Green Berets (1968), sowie die Stellungnahmen in dem berühmten Playboy-Interview vom Mai 1971.

[4] Randy Roberts / James S. Olson: John Wayne - American, New York 1995.

[5] Scott Eyman: The Epic Life of Cecil B. DeMille, London 2010.

[6] Ders.: Lion of Hollywood - the Life and Legend of Louis B. Mayer, New York 2012.

[7] Ders.: The Speed of Sound. Hollywood and the Talkie Revolution, 1926-1930, New York 1997.

Josef Johannes Schmid