Rezension über:

Rita Costa-Gomes (ed.): A Portuguese Abbot in Renaissance Florence. The Letter Collection of Gomes Eanes (1415-1463) (= Biblioteca dell' "Archivum Romanicum". Serie I; 472), Florenz: Leo S. Olschki 2017, XLVIII + 579 S., ISBN 978-88-222-6516-6, EUR 65,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Volker Reinhardt
Historisches Seminar, Universität Fribourg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Volker Reinhardt: Rezension von: Rita Costa-Gomes (ed.): A Portuguese Abbot in Renaissance Florence. The Letter Collection of Gomes Eanes (1415-1463), Florenz: Leo S. Olschki 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 1 [15.01.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/01/31052.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Rita Costa-Gomes (ed.): A Portuguese Abbot in Renaissance Florence

Textgröße: A A A

Gomes Eanes gehört nicht zu den prominenten Figuren der Renaissance in Italien, obwohl er als Abt des florentinischen Benediktinerklosters Santa Maria, bekannter als la Badia di Firenze, von 1419 bis 1439 eine durchaus herausgehobene Position einnahm. In diesen zwanzig Jahren entstanden 522 der 550 Briefe, die im vorliegenden Band ediert wurden: Schreiben an den "Abbate Gomezio", wie er von seinen italienischen Korrespondenzpartnern tituliert wurde, und von ihm selbst. Herausragende Einzelstücke, vor allem die Briefe König Duartes von Portugal an den Abt, aber auch aus der Korrespondenz mit wichtigen Vertretern der römischen Kurie sind seit längerem erschlossen, doch in seiner Gesamtheit wird der Briefwechsel hier erstmals ediert. Rechtfertigt sich das aufwendige Unternehmen durch einen Mehrwert an historischer Erkenntnis?

Eanes wurde Anfang der 1390er Jahre als Spross einer hofnahen Lissaboner Notarsfamilie geboren, zog um 1409 als Jurastudent nach Italien, schloss sich in Padua dem Reformkreis des venezianischen Patriziers Ludovico Barbo an, trat 1414 unter dessen Einfluss in den Benediktinerorden ein und agierte in den nachfolgenden Jahren für Barbos Ziele, durch bessere Bildung und Rückbesinnung auf die Gründungs-Traditionen eine Erneuerung der klösterlichen Gemeinschaften herbeizuführen. Dass er bei diesen Bestrebungen inner- wie außerhalb des Ordens beträchtlichen Rückhalt besaß, zeigt sein schneller Aufstieg zum Abt der weit über Florenz renommierten Badia. In dieser Funktion kehrte Eanes zweimal in sein Heimatland zurück: Mitte der 1420er Jahre mit der Absicht, die italienischen Reformmaßnahmen auch in Portugal durchzusetzen, was trotz weiterhin guter Beziehungen zur Monarchie mit einem glatten Fehlschlag endete, und ein Jahrzehnt später erfolgreicher als päpstlicher Nuntius in einer für Rom besonders kritischen Zeit der Auseinandersetzung mit dem Konzil von Basel.

Merkwürdigerweise ist von solchen Haupt- und Staatsaktionen, aber auch von im weitesten Sinne theologischen und kulturellen Fragen und Debatten in der Korrespondenz des umtriebigen Abtes kaum die Rede. Stattdessen überwiegt im mehrheitlich lateinisch verfassten Briefwechsel mit italienischen Partnern das Alltagsgeschäft der Klosterführung und -verwaltung: die Beschaffung von Büchern, mit denen die für die Reformzwecke dringend wünschenswerte Erweiterung der Bibliothek vorangetrieben werden konnte, die Errichtung neuer Baulichkeiten, durch die die Stellung der Badia in der sich urbanistisch rapide wandelnden Stadt angemessen versinnbildlicht werden konnte, und natürlich Ordensklatsch, Ordensstrategien, Ordensintrigen wie die Wahl oder Nichtwahl genehmer oder unwillkommener Kandidaten für kirchliche Führungsposten.

Ein deutlich anderes Bild bietet die auf Portugiesisch verfasste Korrespondenz, die etwa die Hälfte der Edition ausmacht. In ihr tritt Eanes in einer klar konturierten Doppelrolle als Vermittler und Patron hervor, je nach sozialem Standort der mit ihm in Kontakt tretenden Personenkreise. Im Dienste des Königs hat er Informationen über die aktuellsten Entwicklungen an der Kurie zu sammeln, heimische Aristokraten soll er bei der Vergabe lukrativer Pfründen unterstützen und weniger einflussreiche Landsleute mit potentiellen Förderern bekannt machen - eine "Türöffnerfunktion", die den Großteil dieses Briefwechsels ausmacht. Die sprachliche Unterscheidung spiegelt so die unterschiedliche Anbindung des Abtes wider: Sein portugiesisches Netzwerk ist dicht und hochgestellt, was ihm nach seiner florentinischen Karrierestation vielfältig zugutekommt; immerhin beschließt er seine Tage 1459 als General der portugiesischen Augustiner-Chorherren.

In Italien und speziell in Florenz und der Toskana präsentiert sich Eanes hingegen weit weniger in die Kreise der politischen Eliten integriert. Das schlägt sich auf verschiedenen Ebenen nieder. So hat der Abt der Badia im Herzen von Florenz über die spannungsreiche politische Lage in Florenz, die daraus resultierenden Machtkämpfe zwischen den Fraktionen der Albizzi und der Medici und den nach vorangehender Vertreibung im Herbst 1434 errungenen Triumph der letzteren schlichtweg nichts mitzuteilen - er wird auch gar nicht erst danach gefragt, gilt also offenbar in diesen Dingen auch nicht als Informant erster Hand. Diese Ferne zur Macht bleibt durchgehend erhalten; ein einziges Mal wird der in kirchlichen Angelegenheiten so oft bemühte Eanes darum ersucht, bei Cosimo de' Medici als Fürsprecher zu intervenieren, und zwar in Sachen eines banalen Passierscheins. Auch das Konzil von Florenz, das 1439 immerhin die Union der lateinischen und der griechischen Kirche hervorbringt, ist in der Korrespondenz kaum ein Thema, geschweige denn die in vieler Hinsicht so innovative kulturelle Entwicklung von Florenz in dieser erregenden Zeit des Umbruchs.

So lohnt sich die mit einer ausführlichen biographischen Einführung versehene Gesamtedition, in der jedes Schreiben mit seinen wichtigsten Anliegen kurz auf Englisch zusammengefasst wird, vor allem unter drei Gesichtspunkten. Sie zeigt die anhaltende lusitanische Prägung des Abtes und macht dadurch indirekt deutlich, dass die "Italianisierung" iberischer Familien wie der aragonesischen Dynastie in Neapel oder der Borja in Rom nicht von selbst vonstattenging, sondern sehr zielbewusster Anstrengungen, nicht zuletzt der Imagebildung, bedurfte. Darüber hinaus lässt sie durch die vielfältigen Einblicke in die laufenden Geschäfte eines Klostervorstehers ein anderes Bild der Renaissance an deren erstem Zentrum aufkommen, das sehr viel mehr von Traditionen und Kontinuitäten, Zwängen, Nöten und Mühen des Alltags geprägt ist, als verzerrende Überhöhungen bis heute wahrhaben wollen. Von größtem Interesse aber ist die Korrespondenz des portugiesischen Abts in Italien fraglos für die Geschichte Portugals und seiner Beziehungen zur Kurie.

Volker Reinhardt