Rezension über:

Thelma Fenster / Carolyn P. Collette (eds.): The French of Medieval England. Essays in Honour of Jocelyn Wogan-Browne, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2017, XXVIII + 342 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-1-84384-459-4, GBP 60,00
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Rezension von:
Maud Becker
Altfranzösisches etymologisches Wörterbuch / Dictionnaire étymologique de l'ancien français (DEAF), Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Maud Becker: Rezension von: Thelma Fenster / Carolyn P. Collette (eds.): The French of Medieval England. Essays in Honour of Jocelyn Wogan-Browne, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/06/31351.html


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Thelma Fenster / Carolyn P. Collette (eds.): The French of Medieval England

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Diese Festschrift zollt Jocelyn Wogan-Browne Anerkennung für ihren Beitrag zur Erforschung der literarischen und sprachlichen Erscheinungsformen des "French of England" - ein Begriff, der im Gegensatz zum "Anglo-Norman" versucht, der Vielzahl der Kommunikationsmöglichkeiten gerecht zu werden. "French of England" geht über das Verständnis des Anglo-Normannischen hinaus, das als schriftliche Sprache für Literatur und Verwaltung betrachtet wird, da es die Interaktionen, sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form, zwischen den anderen Sprachen des mittelalterlichen England beleuchtet. Die Forschungen von Jocelyn Wogan-Browne haben wesentlich dazu beigetragen, das Anglo-Normannische als Sprache zu verstehen, die nicht nur über ihr Prestige, isoliert von den breiten Schichten der Gesellschaft, sondern auch als lebende Sprache zu definieren ist, und die in der Lage war, dynamische Austauschprozesse zwischen unterschiedlichen Ideen und Werten zu befördern - und dies in einem Zeitraum, der über das Mittelalter hinaus reicht, auf einer Insel, die schon vor der normannischen Eroberung mehrsprachig war. Mit ihren Beiträgen zu sprachlichen und kulturellen Wechselwirkungen in anglo-normannischen Texten, hauptsächlich Andachtstexten und Heiligenleben, hat Jocelyn Wogan-Browne die subtilen Verbindungen zwischen Mittelenglisch und Mittellatein aufgezeigt, und so unter anderem die Vorstellung einer Dominanz des Anglo-Normannischen über das Englische revidiert. Diese Idee einer ausgeglichenen Wertigkeit der Sprachen gipfelt nun in dem ihr gewidmeten Band "Languages and Culture in Medieval Britain", der einen vollständigen Überblick über die literarischen, sozialen und politischen Interaktionen der Sprachen im mittelalterlichen England bietet. Ohne dass eine eindeutige Gliederung der Artikel gegeben wird, sind die wichtigsten Forschungslinien der 16 Beiträge leicht auszumachen.

Ein Hauptaugenmerk betrifft die critique littéraire, die häufig von historischen und politischen Überlegungen begleitet wird und so zur Neukonzeption dieser Studien beiträgt. In mehreren Artikeln geht es um Fragen der Zweisprachigkeit: ein Beispiel ist der Artikel von Monika Otter (55-81) zu den Variationen zweier Texte mit Kontrafaktur über den Planctus ante nescia, die für zwei "Prisoner's Lament" benutzt wurden. Hier hat ein zweisprachiger Autor, in Anglo-Normannisch und Mittelenglisch, mit den Möglichkeiten der Sprachen experimentiert. Thomas O'Donnells (13-37) und Emma Campbells (38-54) Beiträge nehmen zwei Texte von Philippe de Thaon, den Comput und den Bestiaire, in den Blick; sie belegen den Einfluss durch lateinische Glossen und Illustrationen - in Emma Campbells Beitrag - bei der Textvermittlung für anglophone Leser.

Der kulturelle Einfluss anglo-normannischer Literatur auf die mittelenglische Literatur zeigt Nicholas Watsons Artikel (140-156): William Langlands Piers Plowman nimmt die allegorische Form von Robert Grossetestes Château d'Amour auf, verändert allerdings die narrative Progression und die pastorale Botschaft, und zwar in einem Netz aus Bildern und biblischen Zitaten. Ein vergleichbares Beispiel einer Bibelnutzung kann auch in R. F. Yeagers Artikel (257-271) über John Gowers anglo-normannische Dichtung nachverfolgt werden. Fiona Somerset (82-99) zeigt, wie verschiedene Fassungen eines politischen Liedes je nach Vorstellungen bezüglich der politischen und religiösen Zustimmung variieren. Hier sind die unterschiedlichen Schattierungen bei der Beurteilung des Königs und des Klerus erkennbar. Ebenfalls können die Verbindungen zwischen einem Text und seinem politischen Umfeld bei der Chanson d'Aspremont (Handschrift Oxford, Bodmer 11) identifiziert werden (Andre Taylor; 100-115). Dieser Text, König Edward I. gewidmet, ist ein Beispiel für den Einfluss literarischer Formen und für Überlegungen, die die jeweilige politische Situation widerspiegeln.

Die Vernetzung von Texten und Handschriften kann ein Spiegelbild der Zeit sein, wie im Fall der Heiligenleben der Campsey Handschrift (London, British Library, Additional 70513), die Christopher Baswell (157-174) untersucht: die Beschreibung von körperlichen Gebrechen wie Blindheit oder Lähmung, als Belohnung oder Strafe, sind für eine weibliche religiöse Gemeinschaft identitätsstiftend. Robert M. Steins Beitrag (272-279) zeigt, wie stark das Band zwischen Literatur und Gewaltausübung sein kann. Wie sich eine Gemeinschaft in Abgrenzung zu einer anderen definiert, zeigt Thelma Fensters Artikel (175-189): sie beschreibt das negative Bild von den Juden, das sich in von Frauen in Auftrag gegebenen Erziehungsbüchern findet.

Die religiöse Literatur ist ein bevorzugtes Feld, um die Einflüsse des Anglo-Normannischen auf das Mittelenglische zu analysieren, wie Richard Inghams Beitrag über das South English Legendary zeigt (128-139). Seine statistische und linguistische Untersuchung belegt eine große Anzahl ursprünglich französischer Wörter im mittelenglischen Text, der sich an ein ungebildetes Publikum richtet. Seine Ergebnisse beweisen einen tiefen und breiten Einfluss der anglo-normannischen Sprache und ein gutes Verständnis seitens des englischen Publikums.

Texte aus den schottischen Krigen und dem Hundertjährigen Krieg sind Zeugnisse für die Nutzung des Anglo-Normannischen. So dokumentiert Serge Lusignan (116-127), wie das Anglo-Normannische den Status als Verwaltungssprache und Sprache des Adels in Schottland erlangen und dort auch regelmäßig verwendet werden konnte. W. Mark Ormrod (190-205) dokumentiert das Vorgehen lokaler Autoritäten in England, die die Haltung französischer Immigranten im Hundertjährigen Krieg anhand unterschiedlicher Faktoren prüfen wollten. So waren sie etwa interessiert an der Bereitschaft der Einwanderer, Englisch zu lernen, und an deren Reisen in die alte Heimat, um so den Grad der Integration und die Einstellung zu einem möglichen Verrat beurteilen zu können. Maryanne Kowaleskis Artikel (206-224) über französische Einwanderer in Devon wirft mehr Fragen auf als er Antworten liefert: die Franzosen haben offensichtlich nur wenige administrative Spuren hinterlassen. Über die Integrationsprozesse dieser Einzelpersonen in ländlichen Gemeinschaften ist nur wenig in Erfahrung zu bringen, aber Maryanne Kowaleski weist immerhin auf die spannende Frage hin, wie das Französischen in eben diesen kleinen Gemeinschaften konserviert werden konnte.

Wie Paul Cohen zeigt (225-240), hat die Situation des Französischen trotz des Verschwindens in England am Ende des Mittelalters zu Sprachreflexionen im 17. Jahrhundert geführt: in Frankreich ergaben sich für die Humanisten Überlegungen zur Frage einer von oben festgelegten offiziellen Sprache, die auch mit der Heldenverehrung Wilhelms des Eroberers unterlegt wurden und schließlich im Edikt von Villers-Côtterets mündeten. Abschließend beschreibt Delbert Russell (241-256) Paul Meyer und seine Rolle bei der Entdeckung der anglo-normannischen Literatur und der entsprechenden Handschriften. Meyers Verständnis dieser Sprachvarietät steht im Gegensatz zu Gaston Paris' nationalistischer Haltung.

Delbert Russells Porträt von Meyer kann man als Abbild der hier versammelten Beiträge und der zu ehrenden Forscherin verstehen, verweist es doch auf den unbedingten Willen, neue Texte zu suchen und zu entdecken und diese auf neuen Wegen zu erkunden.

Maud Becker