Rezension über:

Maximilian Becker: "Suntoque aediles curatores urbis …". Die Entwicklung der stadtrömischen Aedilität in republikanischer Zeit (= Frankfurter Historische Abhandlungen; Bd. 50), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2017, 342 S., ISBN 978-3-515-11880-4, EUR 59,00
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Rezension von:
Christian Rollinger
Fachbereich III - Alte Geschichte, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Christian Rollinger: Rezension von: Maximilian Becker: "Suntoque aediles curatores urbis …". Die Entwicklung der stadtrömischen Aedilität in republikanischer Zeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/30929.html


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Maximilian Becker: "Suntoque aediles curatores urbis …"

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Den nicht wenigen und sehr verdienstvollen Studien republikanischer Magistraturen, die in den letzten Jahrzehnten erschienen sind, gesellt sich in Gestalt von Maximilian Beckers Frankfurter Dissertation nun eine neue hinzu. Becker schließt mit dem vorliegenden Band eine der beiden noch verbleibenden Lücken mit einer strukturgeschichtlich orientierten Untersuchung der Aedilität. [1] Becker (13-36) will Funktionen und Kompetenzen der Aedilen identifizieren sowie sozialgeschichtliche Aspekte des Amtes behandeln, wobei er nicht strukturell-systematisch - oder, wie er es selbst formuliert (35), im weitesten Sinne "rechtssystematisch" - vorgeht, sondern einen dezidiert chronologischen Zugriff wählt.

Natürlich geht es ihm auch darum, den vollen Funktionsumfang des Amtes systematisch herauszuarbeiten; doch verweigert er sich einer durch die wiederholt zitierten Worte Ciceros (leg. 3.3.7) vorgegeben strukturellen Gliederung, die die Kompetenzen der Aedilen von vorneherein auf ihre Rolle als curatores urbis annonae ludorumque sollemnium festlegen würde. Stattdessen entscheidet sich Becker für einen chronologischen Zugriff, da diese "Kompetenzen [...] nur als der jeweiligen Zeit heraus verstanden" werden können (16). Ganz kann er sich allerdings nicht von diesem schon antiken Analyseschema freimachen (was übrigens auch gar nicht nötig erscheint). Das Amt habe aber, so Becker, seit seiner Einrichtung einen allmählichen Funktionswandel erfahren, der am besten durch eine Betrachtung der Amtsentwicklung untersucht werden könne. Die eigentliche Arbeit ist dem chronologischen Ansatz der Untersuchung entsprechend in drei große Zeitabschnitte gegliedert, die die Entwicklung des Amts von seiner Einrichtung in der römischen Frühzeit bis zum Jahr 367/366 v.Chr. (37-139), dann in der klassischen Republik bis etwa zur Diktatur Sullas (140-232) und anschließend bis zum Untergang der res publica libera (233-275) skizzieren.

Der erste Abschnitt zur Entstehung und frühen Entwicklung des Amtes ist dabei aufgrund der diffizilen Quellenlage naturgemäß mit den größten Unsicherheiten behaftet. Die Ursprünge des Amtes sucht Becker etymologisch zu eruieren, indem er eine inhaltliche Verbindung der Aedilen zur aedes Cereris postuliert (40-49), in dessen Archiv auch die frühen Aedilen tätig gewesen sein könnten. Aus der räumlichen Nähe des Tempels zum forum Boarium und der überwiegend einheitlichen griechischen Terminologie, die aedilis als agoranómos übersetzt, schließt Becker auf eine frühzeitige Kompetenzzuweisung im Bereich der Marktaufsicht (65-80). Dagegen betont er, dass die Verantwortung für die Spielgebung in den frühen Jahrhunderten der Republik kaum auch nur zu den erweiterten Aufgaben der Aedilen zählen konnten, geschweige denn als Ursprungsgrund in Frage kämen (63-65). Die Aedilität schließlich als dezidiert plebejisches Amt genauer zu definieren, fällt schwer. Er schlussfolgert am Ende, Aedilen und Tribunen seien beide "wohl vor allem zunächst eines: Vertrauensmänner der Plebs" gewesen und ein wirkliches Hierarchiegefälle sei bei ihnen nicht erkennbar. Die Schutzfunktion, beim Volkstribunat besonders ausgeprägt und eindeutig gegen den Staat gerichtet, sei bei der Aedilität eher "ordnungsschaffender und regulierender Natur" (137) und trug so zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Konflikte bei. Den Endpunkt dieses ersten chronologischen Abschnitts liefern die (von Becker in ihrer Historizität bezweifelten) leges Liciniae Sextiae der Jahre 367/66, die zum häufig bemühten 'Ständeausgleich' führten, indem u.a. Volkstribunat und Aedilität gesamtstaatliche Magistraturen wurden. Da die Plebejer aber nicht, etwa analog der Neuordnung des Konsulats, auf den rein plebejischen Charakter des Amtes verzichten wollten, so Becker, hätten die Patrizier nolens volens die Zahl der Aedile verdoppelt und sich so einen eigenen 'Ständeausgleich' gesichert (133-136), nachdem sie "gewiss schon länger mit Argwohn und sicher auch Neid auf die Aedilität als Sondermagistratur der plebs geblickt haben dürfte[n]." (138)

Auf sichererem Quellenfundament stehen die folgenden Ausführungen zur Entwicklung des Amtes zwischen 4. und 1. Jahrhundert v.Chr. Zunächst thematisiert Becker die in der Forschung kolportierte alternierende Besetzung der kurulischen Aedilität (die er erst für die Zeit nach dem genannten Krieg sicher belegen kann) sowie die Frage nach den Amtsinsignien und Ehrenrechten, die mit der Bezeichnung "kurulisch" einhergehen. Da das bei Cicero attestierte ius imaginis für aedilizische Vorfahren in der bekannten Beschreibung einer pompa funebris bei Polybios nicht erscheint, postuliert Becker hierfür sullanische Ursprünge. Im Bereich der eigentlichen Kompetenzen kann Becker eine eindeutige Entwicklung nachweisen: Die cura urbis, laut Becker die eigentliche provincia der Aedilen (201), welche die Marktaufsicht umschloss, wurde durch eine zumindest situativ erforderliche cura annonae ergänzt, die vor allem aber aus einer Form der Preisüberwachung bestand und nur unter besonderen Umständen größere Getreidekäufe beinhaltete (170; 206-209), so etwa während des Hannibalkrieges. Die cura urbis blieb allerdings - und sollte es auch später bleiben - eine bewusst nebulöse Umschreibung der eigentlichen Funktion der Aedilen, die sich allgemein um die urbs zu kümmern hatten. Dies konnte Infrastruktur, Versorgung, Markaufsicht aber auch Sittenaufsicht (202-206) umfassen (167-194) und beinhaltete auch die Möglichkeit, Bußgelder zu verhängen. [2] In bestimmten Bereichen waren die Aedilen dabei allerdings nicht alleine verantwortlich, sondern teilten sich Arbeitsbereiche mit Censoren und Quaestoren, so etwa besonders im Bereich der Wasserversorgung, wobei eine genaue Kompetenzaufteilung nicht klar auszumachen ist (180-187). Diese Kompetenzen erweiterten sich ab Ende des 3. Jahrhunderts noch einmal beträchtlich, vor allem auch im Bereich der Spieleaufsicht, die die Ausrichtung der damals neu hinzugekommenen Spiele umschloss (195-200). Im Laufe des 2. Jahrhunderts und besonders auch mit den gracchischen Reformen stieg die Bedeutung des Aedilenamtes schließlich erneut an, nicht nur weil den Spielen fortan eine höhere Bedeutung für die politische Karriere eines Senators zukam, sondern auch weil die cura annonae seit der lex Sempronia frumentaria und dem Bau der großen Getreidespeicher ganz neue Dimensionen erreicht hatte.

Auch im dritten chronologischen Abschnitt der Arbeit, der sich auf vergleichsweise knappem Raum mit der kurzen Zeitspanne zwischen Sulla und Caesar auseinandersetzt, hat sich an der großen Bedeutung der cura annonae nichts verändert, vor allem auch angesichts der grassierenden Seeräuberplage vor Pompeius' imperium extraordinarium. Für die Zeit der Späten Republik sind wir zudem nicht zuletzt durch Ciceros eigene Aedilität und seine Berichte darüber gut informiert. Aufgrund von Unstimmigkeiten in diesen Berichten mutmaßt Becker, dass unter Sulla eine 'Angleichung' von plebejischer und kurulischer Aedilität stattgefunden habe, die vor allem die Berechtigung, Ehrenzeichen wie die sella curulis nutzen zu dürfen, tangierte (236-245). Diese Angleichung im Amtsprestige sei als "Ausgleich für die Abwertung der Volkstribune" aufzufassen (273), wohingegen sich im Übrigen keine größeren Veränderungen gegenüber dem vor-sullanischen Funktions- und Kompetenzumfang festmachen ließe.

Ein knappes Schlusswort (276-282) fasst die wichtigsten Argumente und Ergebnisse dieser sehr nützlichen und hilfreichen Studie noch einmal zusammen, die von einer Bibliographie (283-319) und detailliert gearbeiteten Indices (321-342) abgeschlossen wird. Auch wenn ein gewisses Maß an Skepsis bezüglich der Belastbarkeit der Ergebnisse vor allem für die römische Frühzeit angebracht scheint und man sich Beckers Thesen nicht in jedem Fall wird anschließen wollen, so ist dies eher der unsicheren Quellenlage und den großen damit verbundenen Schwierigkeiten zu verdanken. Je sicherer die Quellenbasis wird, desto überzeugender und selbstbewusster wird die Argumentation, wobei sich Becker nicht scheut, originelle Mutmaßungen anzustellen, selbst dann (oder: gerade dann), wenn sie sich nicht beweisen lassen. In jedem Fall ist diese sorgfältig gearbeitete Studie eine Bereicherung der umfangreichen Literatur zum, um mit Mommsen zu sprechen, 'Staatsrecht' der römischen Republik.


Anmerkungen:

[1] Zur Aedilität wurde bereits vor knapp drei Jahrzehnten eine altertumswissenschaftliche Dissertation verfasst (Michael Ernst: Die Entstehung des Ädilenamtes, Diss. Paderborn 1990), die aber nie veröffentlicht und wenig rezipiert worden ist. Erst kurz vor Abfertigung der Dissertation erschien die umfangreiche Studie von Anne Daguet-Gagey ("Splendor aedilitatum": l'édilité à Rome (Ier s. avant J.-C.-IIIe s. après J.-C.), Rom 2015), die sich allerdings vornehmlich mit der kaiserzeitlichen Aedilität beschäftigt und so Beckers eigene Arbeit nur am Rande tangiert (33, Anm. 91). Obwohl eine Reihe von jüngeren Detailstudien sich mit der Quaestur durchaus auseinandergesetzt hat (zuletzt Joaquin Muñiz Coello: Los cuestores republicanos. Origen, funciones y analogías, in: Klio 96 (2014), 502-538), fehlt es an einer vergleichbaren monographischen Behandlung für dieses Amt.

[2] Siehe dazu auch jüngst Sofia Piacentin: The Role of Aedilician Fines in the Making of Rome, in: Historia 67 (2018), 103-126, die versucht, den Umfang und die Bedeutung dieser Bußgelder zu quantifizieren.

Christian Rollinger