Rezension über:

Adrienne Mayor: Gods and Robots. Myths, Machines, and Ancient Dreams of Technology, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2018, XVI + 275 S., zahlr. Abb., ISBN 978-0-691-18351-0, USD 29,95
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Rezension von:
Helmuth Schneider
Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Helmuth Schneider: Rezension von: Adrienne Mayor: Gods and Robots. Myths, Machines, and Ancient Dreams of Technology, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 1 [15.01.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/01/32638.html


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Adrienne Mayor: Gods and Robots

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Die Schaffung künstlichen Lebens, Künstliche Intelligenz und Automaten, die an die Stelle menschlicher Arbeit treten, sind Themen, die seit dem frühen 19. Jahrhundert in Kunst und Wissenschaft immer wieder aufgegriffen und reflektiert worden sind. Die Faszination, die von dem Gedanken künstlich geschaffenen Lebens ausgeht, wird in solch unterschiedlichen Texten wie E. T. A. Hoffmanns Sandmann, in der ein Automat zu täuschen und Liebe zu erwecken vermag (1816), Mary Shelleys Frankenstein (1818), wie Goethes Szene über die Erschaffung des Homunculus in Faust 2 (1832) oder Auguste Villiers de L'Isle-Adams L'Eve future (1886) deutlich. Goethes Zauberlehrling (1798) schließlich weist darauf hin, dass Gegenstände, die der Mensch in den Dienst nimmt, um seine Arbeit zu verrichten, sich gegen ihn wenden können. Im 20. Jahrhundert kam für diese Thematik dem Film eine besondere Bedeutung zu. Von Metropolis (1925) bis hin zu Blade Runner (1982) ist immer wieder versucht worden, die Technik der Zukunft visionär zu erfassen. Zuletzt hat kein geringerer als Ian McEwan einen Roman über menschenähnliche Automaten, die auch ein eigenes Bewusstsein haben, verfasst (Machines like me 2019) und dabei gezeigt, wie ambivalent solche Schöpfungen für den Menschen sein können.

In den Kulturwissenschaften werden die mit der Automatentechnik und der Künstlichen Intelligenz verbundenen Probleme seit einiger Zeit intensiv diskutiert; für die Alte Geschichte liegt hierzu eine Studie von Monika Frass vor, die den Versuch unternimmt, die Entwicklung von der Vorstellung des homerischen Epos, die Dienerinnen des Hephaistos seien aus Gold, glichen aber lebenden Jungfrauen, bis hin zur Konstruktion von Automaten in der hellenistischen Mechanik nachzuzeichnen.

Adrienne Mayor hat jetzt in ihrer umfassenden Monografie jene antiken Mythen und Texte untersucht, in denen Geschöpfe geschildert werden, die ein Produkt handwerklicher Tätigkeit waren, gleichwohl aber lebendig zu sein scheinen, oder die mit Mitteln der Technik oder der Zauberei Ziele erreichen, die außerhalb der naturgegebenen menschlichen Fähigkeiten liegen. Die Darstellung hat den Charakter von Fallstudien; in jedem Kapitel wird eine Gestalt des Mythos, das Handeln einer mythischen Figur oder ein Problem, das im Mythos zur Sprache gebracht wird, beschrieben.

Nach einer Einleitung, in der Mayor die Überzeugung äußert, der antike Mythos könne einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Reflexion der Möglichkeiten und Gefahren Künstlicher Intelligenz leisten, beginnt die eigentliche Interpretation der antiken Vorstellungen mit einem Kapitel über Talos, jenen Riesen aus Bronze, der von Hephaistos für Minos geschaffen worden war. Talos bewachte Kreta und hielt Eindringlinge vom Betreten der Insel ab, indem er Steine auf sie schleuderte. Überwunden wird er bei Apollonios Rhodios von Medeia, die ihn durch ihren Blick so lähmt, dass er einen Felsblock fallen lässt und sich dadurch selbst tötet. Im folgenden Kapitel interpretiert Mayor Ovids Erzählung, in der Medeia den greisen Vater des Iason verjüngt und den Tod des Pelias mit dem falschen Versprechen, ihn ebenfalls zu verjüngen, bewirkt.

Wie der Mythos des Tithonos zeigt, erweist sich der Wunsch nach Unsterblichkeit dann als sinnlos, wenn nicht gleichzeitig ewige Jugend gewährt wird, eine Warnung für die Gegenwart, dass ein langes Leben erschreckender und tragischer sein kann als ein vorzeitiger Tod. Die Fähigkeiten der Medeia sind dann wiederum Gegenstand der Überlegungen Mayors; es ist die Frau, die durch ihr Wissen um die Eigenschaften der Pflanzen des Kaukasus Iason befähigt, mit großer Stärke und mit Mut die Stiere und die erdgeborenen Krieger des Aietes zu besiegen. Die Ambivalenz technischer Fertigkeiten, die das menschliche Vermögen weit übertreffen, demonstriert der Mythos von Daidalos, der zwar fähig ist, Flügel herzustellen, die es ihm erlauben zu fliegen und so Kreta zu verlassen, durch die aber sein Sohn Ikaros ums Leben kommt. Die Aussage des Mythos besteht nach Mayor in folgender Einsicht: "High hopes for man-made technology to artificially enhance human capabilities are cruelly dashed by complacency, hubris, and unanticipated consequences" (81).

Die folgenden Ausführungen sind Pygmalion, dessen Statue einer jungen Frau durch Eingreifen der Aphrodite lebendig wird, und Prometheus gewidmet, der die Menschen erschaffen hat. Hephaistos als Schmied und Pandora als ein Werk der Götter sind weitere Themen, wobei besondere Beachtung den von Hephaistos geschaffenen Dreifüßen, die sich von selbst bewegen, seinen Dienerinnen aus Gold und außerdem den Schiffen der Phaiaken gilt. In diesem Zusammenhang geht Mayor auch auf die berühmte Aussage des Aristoteles ein, dass die Architekten und die Herren weder Diener noch Sklaven bräuchten, wenn die Werkzeuge - wie die Dreifüße des Hephaistos - ihre Arbeit von selbst verrichteten (Aristot. pol. 1253b).

Wie Mayor im abschließenden Kapitel Between Myth and History betont, wurden die antiken Vorstellungen über technisches Handeln und künstlich geschaffenes Lebens in einer Zeit formuliert, in der Automaten konstruiert und für die Kriegsführung neue Waffen entwickelt wurden. Zwischen der im Mythos beschriebenen und der realen Technik bestand nach Mayors Überzeugung ein enger Zusammenhang. Als Beispiele einer Automatentechnik werden die Taube des Archytas, der Startautomatismus in Olympia, die im Festzug des Demetrius von Phaleron mitgeführte Schnecke, die von Nabis zur Tötung von Gegnern verwendete Statue der Apega und schließlich das Standbild der Nysa im Festzug des Ptolemaios II. angeführt; daneben wird kurz auf Demetrios Poliorketes und Archimedes hingewiesen, die bei der Belagerung von Rhodos und der Verteidigung von Syrakus neue Waffen einsetzten. Mayor erwähnt nicht die Erfindung des Katapultes und nur beiläufig die Schriften zur Mechanik von Philon oder Heron, ohne auf den Inhalt der Texte oder den Mechanismus der beschriebenen Automaten näher einzugehen. Das Werk des Vitruvius, das wertvolle Informationen zu Ktesibios oder Aristoteles und im zehnten Buch zur Konstruktion einiger mechanischer Geräte bietet, bleibt unbeachtet. Das Kapitel über "real automata and lifelike artifices in the Ancient World" erfasst so kaum angemessen die hellenistische und römische Technik als Kontext der literarischen Darstellung des Mythos.

Im Epilog drückt Mayor die Hoffnung aus, "that rereading those ancient stories might enrich today's discussions of robotics, driverless cars, biotechnology, AI, machine learning, and other innovations" (214). Die Altertumswissenschaften können ihrer Meinung nach zu den modernen Debatten über Automaten und über Künstliche Intelligenz einen nicht unwichtigen Beitrag leisten: "The insights and wisdom in such myths might deepen our discourse about AI" (217). Die entscheidenden Fragen der Gegenwart sind dieselben wie im antiken Mythos: "Whose desires will AI robots reflect? From whom will they learn?" (215).

Dieser Sicht entsprechend geht Major auf moderne Techniken, die Entsprechungen zu den Geschichten und Phantasiegebilden der antiken Literatur aufweisen, ein, so zum Beispiel in den Ausführungen über Medeias Verjüngung eines Widders auf das Klonen eines Schafes im Jahre 1996 (41) oder im Abschnitt über Pymalion auf die ethischen Fragen, die sich angesichts der Konstruktion von Sex-Robotern stellen (107, 110). Nach Mayor kann auch eine Analogie zwischen den Schiffen der Phaiaken und dem Global Positioning System (GPS) hergestellt werden (151).

Allerdings ist zu fragen, ob der Mythos und die antike Literatur tatsächlich gegenwärtigen Diskussionen einen wesentlichen Beitrag zu leisten vermögen. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, dass die Diskurse über die moderne Technik mit ihren zuvor nie geahnten Möglichkeiten, über Automaten, Biotechnik und KI auf entsprechende Vorstellungen in den antiken Texten aufmerksam gemacht und so der Interpretation der antiken Literatur neue Wege eröffnet haben. Dabei kommt in den Blick, dass schon in der Antike die Ambivalenz technischer Errungenschaften und die Fragwürdigkeit menschlicher Wünsche und Sehnsüchte deutlich gesehen wurde, eine Tatsache, die das hohe Niveau in der antiken Beschreibung der condition humaine erkennen lässt.

Die antiken Texte, die Mayor ihrer Darstellung zugrundelegt, stammen aus verschiedenen Epochen, aus der archaischen Zeit, oft aber erst aus dem Hellenismus oder der augusteischen Zeit, und gehören verschiedenen literarischen Gattungen an. Es handelt sich vor allem um die Epen Homers und Hesiods, dann um die Argonautika von Apollonius Rhodios und die Metamorphosen Ovids, ferner um Diodoros und Apollodoros. Eine literaturgeschichtliche Einordnung der interpretierten Texte ist nicht gegeben; damit wird nicht klar, wie etwa die Sicht auf das heroische Geschehen sich bei Apollonios gegenüber Homer gewandelt hat; das Auftreten einer Frau, Medeia, als wirkliche Heldin, die nicht nur Iason den Kampf gegen seine Gegner siegreich bestehen lässt, sondern die selbst allein durch ihren Blick Talos ausschaltet, wäre einer näheren Betrachtung wert gewesen.

Diodor etwa und Apollodoros haben in ihren Schriften die griechischen Mythen teilweise ausführlich referiert (Medeia: Diod. 4,46,1-4,53,3. Apollod. 1,9,16-1,9,28. Daidalos: Diod. 4,76,1-4,79,4. Apollod. 3,15,8. epit. 1,12-15); die Texte dieser Autoren werden aber nicht systematisch erfasst und eingehend untersucht. Unterschiede zwischen den verschiedenen Versionen eines Mythos werden kaum thematisiert; die Vorstellung etwa, Prometheus habe die Menschen geschaffen, erscheint weder bei Hesiod und Aischylos noch bei Platon (Hes. theog. 521-616. erg. 47-105. Aischyl. Prom. 442-506. Plat. Prot. 320c-322d). Der Auffassung, Pandora sei "not a real woman", sondern ein "constructed thing" (158), steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass bei Apollodoros Pandora von Epimetheus eine Tochter, nämlich Pyrrha, hatte (Apollod. 1,7,2).

Ein besonderer Wert des Buches ist darin zu sehen, dass Mayor auch die bildlichen Darstellungen des Mythos - neben den Vasenbildern auch die Reliefs - berücksichtigt und auf diese Weise deutlich macht, dass solche Mythen, die erst in späten Texten erscheinen, schon in archaischer und klassischer Zeit ein wichtiges Sujet in der Kunst waren und so ihre weite Bekanntheit vorausgesetzt werden kann.

Für den Leser ist es nicht immer einfach, den Ausführungen Mayors zu folgen, da bisweilen die entsprechenden Stellenbelege fehlen oder irreführend sind bzw. einzelne Feststellungen ungenau sind. Einige Beispiele mögen hier genügen: Seite 11 fehlt der Hinweis auf Apollod. 1,9,26 als Beleg für die erwähnte Version der Tötung des Talos durch Medea. Es ist übrigens bemerkenswert, dass Apollodoros an dieser Stelle verschiedene Versionen des Talos-Mythos erwähnt. Seite 91: Für den Vergleich zwischen den Werken des Daidalos und des Hephaistos bei Euripides fehlt ein Beleg (Eur. Hec. 838, wo Hephaistos aber nicht namentlich genannt wird). Seite 92: Sokrates spricht nicht von den automata, sondern von den agalmata des Daidalos (Plat. Men. 97d). Seite 151: Nicht richtig ist die Feststellung, dass "Phaeacian ships require no rudders or oars"; vgl. Hom. Od. 13,76-78 und ferner 8,557-563. Seite 159 und 242 Anmerkung 9: Es fehlen die Quellen zum Troianischen Pferd (vgl. Hom. Od. 4,271-289 und 8,492-495, ferner Apollod. epit. 5,14-21). Seite 171 muss es heißen: Plin. nat. 36,19 statt: 36,4. Seite 181 fehlt die genaue Stellenangabe zu den Aufführungen mit Pasiphae und Icarus in der Zeit Neros (Suet. Nero 12,2). Seite 197 fehlt ein Quellenbeleg zu einem Ereignis im Mithridates-Krieg: In Pergamon zerbrach in Gegenwart des Mithridates eine zu seinen Ehren von oben mittels einer mechanischen Vorrichtung herabschwebende Nike-Statue, was als schlechtes Vorzeichen gewertet wurde (Plut. Sulla 11,1). Seite 223 Anmerkung 6: Apollod. 1,9,26 bietet nicht den Bericht über den Kampf Iasons bei den Kolchern (richtig: Apollod. 1,9,23). Seite 231 Anmerkung 28: Zu Daidalos und Ikaros wird nur moderne Literatur angeführt, ein Hinweis etwa auf Diod. 4,77,7-9 oder Ov. met. 8,155-235 fehlt; auch hier bleiben die von Diodor erwähnten verschiedenen Versionen der Flucht des Daidalos aus Kreta unbeachtet. Die antike Literatur zu Daidalos erscheint allein in der Anmerkung zu Pasiphae (231 Anm. 23, wo allerdings die Geschichte vom Sturz des Ikaros bei Ovid nicht berücksichtigt ist).

Es ist das Verdienst Mayors, ausgehend von den modernen Diskussionen über KI, Roboter und Automaten auf entsprechende Motive im antiken Mythos und in der antiken Literatur hingewiesen zu haben. Mayor betont zu Recht, dass einzelne Gottheiten und mythische Personen wie Hephaistos, Daidalos oder Medeia wesentlich durch ihr technisches Geschick oder durch ihr Handeln, das die Fähigkeiten der Menschen weit übertrifft, charakterisiert werden und Verjüngung, die Schaffung von Leben sowie Automaten grundlegende Themen in den Texten zum Mythos darstellen. Mayor hebt außerdem hervor, dass das Adjektiv autómatos bereits an zwei Stellen bei Homer erscheint (223 Anm. 1: Hom. Il. 5,749. 18,376). Die Monografie Mayors kann als ein wichtiger Beitrag zur Erforschung des antiken Mythos und der antiken Literatur angesehen werden.

Helmuth Schneider