Rezension über:

Anne Kolb (ed.): Roman Roads. New Evidence - New Perspectives, Berlin: de Gruyter 2019, VIII + 434 S., zahr. Abb., ISBN 978-3-11-061869-3, EUR 79,95
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Rezension von:
Ekkehard Weber
Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Ekkehard Weber: Rezension von: Anne Kolb (ed.): Roman Roads. New Evidence - New Perspectives, Berlin: de Gruyter 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 4 [15.04.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/04/33774.html


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Anne Kolb (ed.): Roman Roads

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Im Frühsommer 2017 fand auf Einladung von Anne Kolb, die von Gerold Walser die aufwendige Aufgabe der Edition der römischen Meilensteine im Rahmen des Corpus inscriptionum Latinarum (CIL XVII) übernommen hat, in Zürich eine Tagung mit eingeladenen Referentinnen und Referenten statt, die zu einer Standortbestimmung und zu der Feststellung dienen sollte, wo und welche Fortschritte und neuen Entwicklungen sich feststellen ließen.

Es folgt nach dem Einleitungsreferat von Anne Kolb eine (weitere) "Key Note" von Richard Talbert, der den versammelten Kolleginnen und Kollegen eine Art Wunschliste für die weitere Arbeit vorlegt und zugleich auf die zivilisatorische Bedeutung des Straßenbaus im Römischen Reich hinweist (22-34). Er bedauert das langsame Fortschreiten der Meilensteinpublikationen, was zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass die betreffenden Forscherinnen und Forscher, die sich einer solchen Aufgabe unterziehen (wollen und können), "hauptberuflich" (im Idealfall an den Universitäten) ganz andere Aufgaben zu erfüllen haben. Solche Corpora digital und in einer modernen Sprache zu publizieren, sind nicht gerade neue Forderungen, setzen aber für Neufunde erst recht eine ständige Redaktion voraus, und die Position jedes Steines mittels Satellitenpeilung (und einem internationalen Referenzsystem) festzulegen geht von der optimistischen, aber vielfach unrealistischen Vorstellung aus, dass die Steine heute dort gefunden werden, wo sie in der Antike gestanden sind.

Weit vom Imperium Romanum entfernt beschäftigt sich dann Grant Parker mit dem Raum von Gandhara und seiner Bedeutung für die Verbreitung des Buddhismus (35-52), wobei er wieder einmal darauf hinweist, dass die "Seidenstraße" (wie übrigens auch die Bernsteinstraße) eine moderne Konstruktion sei. Das ist so weit richtig, als darunter keine konkrete, fest ausgebaute Straße verstanden werden darf (vgl. Fußnote 33), aber als eine Sammelbezeichnung für eine Reihe von Handelswegen durch den innerasiatischen Raum (bis Sera maior in der Tabula Peutingeriana, 11B5) hat sie durchaus ihre Berechtigung.

Dem Raum von Arabien mit seinen alten Karawanenwegen widmet sich Michael A. Speidel (53-66) und sieht, gegen die ältere Literatur, in der via nova Traiana tatsächlich eine neu trassierte Verbindung wichtiger Siedlungszentren in diesem Raum, die der lokalen Bevölkerung deutlich vor Augen führen sollte, welche Vorteile sich durch die neuen Herrschaftsverhältnisse ergaben: Meilensteine und Straßen als Mittel imperialer Propaganda.

Antony Comfort bietet sodann einen Bericht über den Raum zwischen Euphrat und Tigris in Ostanatolien vor 2008, der jetzt wegen der aktuellen Kriegsereignisse nicht gerade leicht zugänglich ist (109-131). Hervorzuheben sind die zahlreichen Fotos, mit denen Straßen, Meilensteine, Brücken und sonstige Infrastruktur dokumentiert werden.

Chaim Ben David behandelt die Meilensteine in den Wüstengebieten von Palästina und der Provinz Arabia (132-146) und weist wieder einmal darauf hin, dass diese nicht, wie offenbar geglaubt wird, entlang der gesamten Straße, sondern "predominantly in the settled areas of the country" aufgestellt waren (133), wodurch ihre propagandistische Funktion unterstrichen wird.

Einen übersichtlichen und mit guten Fotos ausgestatteten Überblick gibt Mustafa H. Sayar zu den Straßen und Meilensteinen im Ebenen Kilikien (147-165). Dazu gehört auch die Untersuchung von Hamdi Şahin zum Rauen Kilikien (166-190), die unmittelbar aus den Vorarbeiten zum entsprechenden Faszikel des Meilensteincorpus (CIL XVII 5, 3) erwachsen ist. "In diesem Zusammenhang wurden neue Straßenabschnitte und Meilensteine entdeckt, einige alte wiedergefunden und einige bereits publizierte Meilensteine einer erneuten Autopsie unterzogen" (167). Diesem Beitrag hätte eine zusätzliche redaktionelle Betreuung gutgetan: die Schreibung "Ksenophon" (170) ist jedenfalls bei uns eher ungewöhnlich, in der Fußnote 18 ist der Autor gar zu Arr(ian) geworden, und das Zitat des folgenden Textes müsste richtig I 2, 21-24 lauten. Auch bei dem neuen Meilenstein (Nr. 1) ist wegen fehlender Klammern die "Rekonstruktion" nur mit Mühe mit dem erhaltenen Teil in Übereinstimmung zu bringen (175).

Florin-Gheorghe Fodorean ist ein profunder Kenner des Straßenwesens im römischen Dakien einschließlich der Tabula Peutingeriana; von der Vorbereitung der Feldzüge Trajans bis zur weiteren Erschließung und Sicherung des Landes hat er ausreichend Gelegenheit, auf den militärischen Charakter der Straßenbaumaßnahmen hinzuweisen (215-235). Die wichtigen Inschriften wie die Tabula Traiana CIL III 1699 = ILS 5863 an der Donau und die Bauinschrift des Kanals, der die Stromschnellen beim Eisernen Tor vermeiden helfen sollte, AE 1973, 475, werden uns in den folgenden Beiträgen gleich mehrfach begegnen. Aber die an sich gute Reliefkarte (Fig. 1, 224) lässt selbst mit einer Lupe die versprochenen Details nicht erkennen, und was die Einzelbuchstaben in der Legende des Ausschnitts (Fig. 2, 225) bedeuten, bleibt unerklärt.

Mit den römischen Straßen und der sonstigen Infrastruktur (wichtig: der Transport auf der Donau) beschäftigt sich Miroslava Mirković (†, 236-251). Sie weist aber mit Nachdruck darauf hin, dass diese Straße für größere Truppentransporte nicht geeignet gewesen sein konnte; diese mussten eben über die Donau erfolgen. Die neueren Forschungen in diesem Raum im Rahmen eines einschlägigen Projekts der Serbischen Akademie der Wissenschaften referiert mit einer nützlichen Zusammenfassung des älteren Wissens Vladimir P. Petrović (252-271).

Einen eindrucksvollen chronologischen Überblick über die Meilensteine in Griechenland, die immerhin mit der via Egnatia ab 146 v. Chr. beginnen, gibt François Mottas (272-302), mit Überlegungen zu den Beweggründen, warum denn Meilensteine überhaupt aufgestellt wurden.

Mit den Meilensteinen der Provinz Lusitania hat Michael Rathmann ausgerechnet einen Bereich übernommen, der im erhaltenen Exemplar der Tabula Peutingeriana nicht mehr vorhanden ist (303-322). Bemerkenswert der Meilenstein für den Kaiser Nero im Dativ aus der Umgebung von Mérida, J. L. Ramirez Sábada, Catálogo de las inscripciones imperiales de Augusta Emerita, Mérida 2002, 86. Diese Widmung mit dem späteren Kaiser Otho, einem guten Freund Neros (auch wenn dieser ihm die Frau ausgespannt hat) in Verbindung zu bringen, ist ein verlockender Gedanke, aber auch der Stein CIL II 4734 = ILS 227 von Jerez de la Frontera in der Provinz Baetica steht beispielsweise im Dativ.

Mit einem Grenzabschnitt im südlichen Algerien mit zahlreichen Straßenspuren, wie uns versprochen wird, nämlich dem Raum von Tobna beschäftigt sich Stéphanie Guédon (323-337). Wieder einmal sind wir mit der Karte (Fig. 1, 324) wenig glücklich; selbst wenn wir das winzige Thubunae zu Recht mit Tobna identifizieren, haben wir keine Ahnung, wo dieser Kartenausschnitt denn überhaupt zu verorten sei, und auch das verheißene "road network of Tobna" lässt sich darin nicht finden.

Damit sind wir ins Zentrum, nach Italien gekommen: Alfredo Buonopane und Chantal Gabrielli stellen neue Forschungsergebnisse vor allem für den Raum Etruriens vor. Zuerst behandelt Buonopane zwei nur aus der Literatur bekannte Meilensteine, die Eugen Bormann für falsch gehalten hat, aber möglicherweise echt sind: CIL XI 848* und 849*. Dafür ist CIL XI 6665a zu streichen; es ist nicht das Fragment eines Meilensteins, wie das geglaubt wurde, sondern eine nota lapicidinarum, bei der dem Rezensenten aber die antike Herkunft erst recht fragwürdig erscheint. Der letzte Beitrag von Patrizia Basso behandelt ausgehend von archäologischen Untersuchungen bei Gazzo Veronese in der Poebene die via Claudia Augusta mit ihren unterschiedlichen Ausgangspunkten in Italien: einerseits der Po (nach dem Stein von Rabland / Rablà westlich von Meran, CIL V 8003) und andererseits die Stadt Altinum am Nordrand der Lagune von Venedig (überliefert vom Stein von Cesiomaggiore bei Feltre, CIL V 8002 = ILS 208). Das Besondere an dieser Straße ist die Angabe über ihre Entstehung auf eben diesen Meilensteinen: der Kaiser Claudius ließ diese Straße 46/47 ausbauen "die sein Vater Drusus nach der (militärischen) Erschließung der Alpen (15 v. Chr.) hatte trassieren lassen" (Dazu A. Donati, Alpibus bello patefactis, in: H. E. Herzig - R. Frei-Stolba (Hg.), Labor omnibus unus. Festschrift Gerold Walser, Stuttgart 1989, 21-24). Dirigere bedeutet die erste Anlage einer Straße mit den notwendigen Vermessungsarbeiten, munire den eigentlichen Ausbau (Die Begriffe "opened" und "restored" im englischen Text sind irreführend). Die Grabungen der Referentin haben nun ein zweifaches Ergebnis gebracht: sie beweisen entsprechend dem Stein von Rabland / Rablà die Verbindung zum Po und, wie das eigentlich naheliegt, zu den Etappenstädten Verona, Modena und Bologna. Sie haben aber gleichzeitig gezeigt, dass diese Strecke in der Po-Ebene offensichtlich bereits in augusteischer Zeit zur Vorbereitung des Alpenfeldzugs ausgebaut worden war. Basso scheut sich nicht vor der Vermutung, dass der 1786 entdeckte (und erstaunlich gut erhaltene) Stein von Cesiomaggiore eine Fälschung sein könnte.

Der Band schließt mit einer Liste der Autoren und der literarischen und (verständlicherweise zahlreichen) epigraphischen Quellen. Besonders zu erwähnen sind aber noch die hervorragenden englischen "Abstracts" und zusätzlich deutschen "Zusammenfassungen" am Beginn jedes Beitrags, wozu in einem Fall noch ein französischer "Résumé" bzw. ein italienischer "Riassunto" treten. Über die inhaltliche Information hinaus sind sie eine willkommene und zuverlässige Einführung in den jeweiligen Gegenstand. Eine ausführlichere Würdigung der einzelnen Beiträge konnte hier wegen des vorgegebenen Limits nicht gegeben werden und wird vielleicht an anderer Stelle erfolgen.

Ekkehard Weber