Rezension über:

Katherine Dauge-Roth: Signing the Body. Marks on Skin in Early Modern France, London / New York: Routledge 2019, XVI + 318 S., eBook, ISBN 978-0-4294-6603-8, GBP 36,99
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Rezension von:
Maria Schaller
Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Maria Schaller: Rezension von: Katherine Dauge-Roth: Signing the Body. Marks on Skin in Early Modern France, London / New York: Routledge 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 7/8 [15.07.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/07/34215.html


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Katherine Dauge-Roth: Signing the Body

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Das Buch ist eine profunde und klug durchdachte Studie, in deren Zentrum frühneuzeitliche Narrative der gezeichneten Haut und Praktiken der Körperbeschriftung stehen. Katherine Dauge-Roth ist hierbei an einer interdisziplinären Zusammenschau der vielfältigen Formen, Funktionen und Semantiken von (Selbst-)beschriftungen gelegen, die sich in literarischen und bildlichen Zeugnissen, aber auch im Sinne der Material Culture Studies in Objekten aus der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts widerspiegeln und bislang vornehmlich isoliert voneinander betrachtet wurden.

Die beachtliche Spannbreite der einbezogenen Quellen reicht von medizinischen Traktaten über Nonnenviten und Reiseberichten bis hin zu rechtswissenschaftlichen Kommentaren. An entscheidenden Stellen wird der Blick über den Untersuchungsraum Frankreich und dessen ehemalige Kolonien in den Amerikas hinaus sinnvoll geweitet. Die Autorin kann auf eine produktive Forschung aufbauen, deren verschiedene Stränge sie äußerst fruchtbar verflicht und um anregende Beobachtungen ergänzt. Als pars pro toto der bemerkenswerten Funde, die den Band zusätzlich bereichern, sei auf das bislang unbekannte Porträt eines tätowierten Jerusalempilgers verwiesen, welches das Cover des Buches ziert.

Die einführend beleuchtete Konzeption der Haut als weiche und verformbare Oberfläche des menschlichen Körpers war - wie frühneuzeitliche Debatten um den Ursprung sogenannter Muttermale belegen - aufs Engste mit der traditionellen Vorstellung einer weiblichen Prädisposition für äußere Einflüsse verbunden. Ausgehend hiervon widmet sich Dauge-Roth in den ersten beiden Kapiteln teuflischen wie auch göttlichen Stigmata unter besonderer Berücksichtigung von Genderfragen.

Im Rahmen der Hexenprozesse, die in Frankreich in den Jahren von 1560 bis 1640 ihren Höhepunkt fanden, spürten männliche Autoritäten verdächtige Hautmale vornehmlich am Frauenkörper auf. Die obsessive Suche nach solchen Beweisen für einen Teufelspakt ist vor dem Hintergrund eines vestimentären Zeichensystems zu verstehen, das bereits im Mittelalter vor allem der Ausgrenzung von Jüd*innen, Prostituierten und Angehörigen von Minderheiten diente. Im Gegenüber zum Malzeichen der Taufe wurden Hexenmale als Brandzeichen konzipiert. Zeitgenössische Vorschläge, diabolische Körperinschriften - als Alternative zur Hinrichtung vermeintlich überführter Hexen - durch das Einbrennen des Kreuzes oder Tau-Zeichens zu überschreiben, zeugen von rechtswissenschaftlichen Diskursen um das Brandmarken als justizielle Körperstrafe, die an späterer Stelle des Buches noch einmal ausführlicher besprochen werden.

Aufbauend auf die Diskussion der Hexenmale stehen Fälle dämonischer Besessenheit in französischen Frauenkonventen des 17. Jahrhunderts im Fokus und mit ihnen die Superiorin des Ursulinenklosters von Loudun, Jeanne des Anges (1602-1665), an deren Körper sogenannte signes de sortie die Austreibung böser Geister bezeugt haben sollen. Diese hinterließen jedoch nicht den eigenen Namen auf dem Körper der Nonne, sondern wurden im Prozess der Austreibung zu Schreibern Gottes. "The devil's mark", wie Dauge-Roth argumentiert, "thus found itself rewritten through the tradition of divine stigmata" (81). Wenngleich die Inschrift "JESUS, MARIA, JOSEPH, F. D. SALLES" auf Jeanne des Anges linker Hand auf die Verhandlungen der Exorzisten mit den männlich imaginierten Dämonen der Priorin zurückgeführt wurde, nutzte selbige ihre Autobiografie, um - inspiriert von der Selbstbeschriftung der heiligen Jeanne Françoise Frémyot de Chantal (1572-1641) - die eigene Handlungsmacht im Rahmen ihrer Stigmatisation zu betonen. Die Konstruktion des passiv beschriebenen weiblichen Körpers konnte Jeanne des Anges somit in einem außerordentlichen Ermächtigungsakt unterlaufen, wobei ihr self-fashioning nicht zuletzt die extreme Popularität des Klosters von Loudun bedingen sollte.

Im dritten und vierten Kapitel wendet sich der Band Tätowierungspraktiken in Neufrankreich und im frühneuzeitlichen Palästina zu. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die verbreitete, jedoch seitens der jüngeren Forschung zurückgewiesene Auffassung gerichtet, diese Form der körperlichen Zurichtung sei erst im Zuge der Expeditionen des britischen Seefahrers James Cook im 18. Jahrhundert aus der 'Neuen Welt' 'importiert' beziehungsweise in Europa 'wiederbelebt' worden. [1]

Die herangezogenen Text- und Bildquellen belegen die zentrale Rolle der Tätowierungen indigener Bevölkerungsgruppen in Neufrankreich in Alteritätsnarrativen, die im europäischen Zivilisationsdiskurs der Konstruktion stereotypisierender Bilder eines 'wilden' Amerikas dienten. Die Aneignung lokaler Traditionen durch die coureurs de bois und Neusemantisierung von Motiven sowie das Tabu der Gesichtstätowierung wird in diesem Zusammenhang mitbeleuchtet. Der Fall eines unter die Haut gestochenen Verdienstordens, von dem die Memoiren des französischen Offiziers Jean-François Benjamin Dumont de Montigny (1696-1760) berichten, veranschaulicht auf eindrucksvolle Weise Parallelen, die zur Verleihung von Insignien in Europa gezogen wurden. Während Marc Lescarbot (ca. 1570-1641) in komparatistischer Perspektive auf die tätowierten Pikten Britanniens sowie die einst in der französischen Region Poitou ansässigen Piktonen verweist, zieht der Missionar Gabriel Sagard-Théodat († 1636) einen Vergleich mit den Jerusalemer Pilgertätowierungen.

In Bezug auf letztere widerlegt Dauge-Roth hierauf die Vorstellung, gestochene Hautmale seien in Europa zeitgleich nahezu ausschließlich von Seefahrern, Soldaten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen getragen worden: "It was in fact upon the bodies of members of the upper echelons of society - both Catholic and Protestant - that the tattoo circulated most prominently in early modern Europe" (171). Die religiösen Motive, die Pilger*innen sich spätestens seit dem 16. Jahrhundert stechen ließen, sollten damit nicht allein den Besuch der Heiligen Stätten sowie die schmerzvolle Imitatio Christi belegen und vor Übergriffen auf der Reise schützen. Vielmehr konnte insbesondere das tätowierte Jerusalemkreuz im Medium des Adelsporträts durch die Assoziation mit exklusiven Ritterorden die soziale Distinktion des homme de marque unterstreichen.

Auf die Praxis der Brandmarkierung zurückkehrend thematisiert das fünfte Kapitel die Konzeption der Beibringung dieser Schandmale als primär administratives Instrument eines sich entwickelnden, modernen französischen Staates, dessen Rechtssystem um effiziente Strategien der Identifizierung von (rückfälligen) Delinquent*innen und (geflohenen) Versklavten bemüht war. Das Einbrennen stigmatisierender Zeichen auf der Schulter erfolgte in Abgrenzung zu Leibesstrafen des Mittelalters, die unmittelbar sichtbare Körperverstümmelungen nach sich zogen. Verdeutlichten Brandmale in Gestalt der Fleur-de-Lis seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zunächst in besonderem Maße die Souveränität des Königs über seine Untertanen, wurden im frühen 18. Jahrhundert spezifische Kürzel für unterschiedliche Straftaten und Strafen eingeführt. Wie Dauge-Roth verfolgt, ging das Brandmarken in der Frühen Neuzeit mit einer Zunahme von Markierungspraktiken - vor allem im Druckwesen und zur Kennzeichnung von Gütern - einher. Mit Blick auf den Code Noir unterstreicht die Autorin schließlich die Komplexität der systematischen Mehrfachbrandmarkung versklavter Afrikaner*innen im transatlantischen Sklavenhandel und verweist diesbezüglich unter anderem auf die Forschungen von Katrina H. B. Keefer. [2]

Über die Ergebnisse der einzelnen Kapitel hinaus ermöglicht der methodische Ansatz des Buches die Fokussierung von Verknüpfungen und Schnittstellen, die hinsichtlich der untersuchten Körpereinschreibungen aufscheinen und bisher in dieser Form nicht herausgearbeitet wurden. Anhand einer beeindruckenden Fülle von Belegen zeigt Dauge-Roth auf, wie Mutter- und Hexenmale, göttliche Stigmata, signes de sortie, Tätowierungen und Brandzeichen in der Frühen Neuzeit zueinander in Beziehung gesetzt wurden. Die Studie kommt hierbei zu der wichtigen Erkenntnis, dass zeitgenössische Praktiken der Körperbeschriftung in Europa - und hierbei insbesondere die staatlich angeordnete Brandmarkierung als Strafform - vielfach als Bezugspunkte ausgeblendet wurden.

Weiterhin geht aus der Gegenüberstellung hervor, dass die in die Haut eingeschriebenen Zeichen zumeist nicht ohne schriftliche Dokumente oder in Entsprechung zu diesen zu denken sind. Eine Wechselbezüglichkeit beziehungsweise das Zusammenfallen von Körper und (offiziellem) Text wird besonders deutlich, wenn das Hexenmal stellvertretend für den mit Blut auf Pergament signierten Teufelspakt steht, aber auch, wenn die gezeichnete Haut durch Pilgertätowierungen und Brandmale wie ein Reisepass oder Führungszeugnis gelesen werden konnte. In der Diskussion von Körperinschriften rekurrieren frühneuzeitliche Quellen auf künstlerische und kunsthandwerkliche Techniken wie die Fertigung von Kupferstichen, Lederarbeiten, aber auch auf das Sticken.

Geleitet von der Frage, warum (Selbst-)beschriftungen des Körpers in der Frühen Neuzeit eine so zentrale Rolle beigemessen wurden, untersucht Dauge-Roth dauerhaft in die Haut eingeschriebene Zeichen als Bedeutungsträger von Identität, die in einer von Instabilitäten, zunehmender Mobilität und Umbrüchen geprägten Epoche unter anderem Zugehörigkeit oder Besitzansprüche, Autorität und Wahrheit vermitteln konnten. Ihr elegant arrangierter Band zeichnet sich durch einen versierten wie feinsinnigen Umgang mit dem (Bild-)material aus, das präzise analysiert und pointiert kommentiert wird. Das besprochene Werk stellt damit einen spannend zu lesenden Forschungsbeitrag dar, der ausgesprochen reizvolle Anknüpfungspunkte bereithält.


Anmerkungen:

[1] Vergleiche hierzu etwa Anna Felicity Friedman: The Cook Myth. Common Tattoo History Debunked, Blogbeitrag vom 05.04.2014, verfügbar unter: https://tattoohistorian.com/2014/04/05/the-cook-myth-common-tattoo-history-debunked (zuletzt abgerufen am 09.06.2021) sowie Dies.: Tattooed Transculturites. Western Expatriates Among Amerindian and Pacific Islander Societies, 1500-1900, PhD diss., University of Chicago 2012.

[2] Katrina H. B. Keefer: Marked by Fire. Brands, Slavery, and Identity, in: Slavery & Abolition 40 (2019), Nr. 4, 659-681.

Maria Schaller