Rezension über:

Elisabeth Piller: Selling Weimar. German Public Diplomacy and the United States, 1918-1933 (= Transatlantische Historische Studien; 60), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 432 S., ISBN 978-3-515-12847-6, EUR 72,00
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Rezension von:
Benno Nietzel
Universität Bielefeld
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Benno Nietzel: Rezension von: Elisabeth Piller: Selling Weimar. German Public Diplomacy and the United States, 1918-1933, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 7/8 [15.07.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/07/35471.html


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Elisabeth Piller: Selling Weimar

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Die an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität im norwegischen Trondheim entstandene und mehrfach ausgezeichnete Dissertation von Elisabeth Piller wendet sich den Beziehungen zwischen der Weimarer Republik und den Vereinigten Staaten zu. Der Ausgangspunkt ist dabei wohlbekannt: nach dem Ende des Ersten Weltkriegs griff in Deutschland die Erkenntnis um sich, dass die negative Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber dem Kaiserreich, die sich im Kriegsverlauf aufgebaut hatte, ein entscheidender Faktor für die Niederlage gewesen war. Diese war damit auch eine krachende Niederlage der deutschen Auslandspropaganda, welche mit großem Einsatz dem moralischen Standpunkt des Reiches in aller Welt Gehör zu verschaffen suchte, aber oftmals völlig kontraproduktiv wirkte. Schon bald nach Kriegsende erhoben sich Stimmen, die Konsequenzen aus dieser Erfahrung forderten: Um seine internationale Stellung wieder zu erlangen, musste sich das Deutsche Reich zukünftig geschickter darum bemühen, die öffentliche Meinung anderer Länder für sich zu gewinnen. Kein anderes Land stand bei diesen Versuchen mehr im Fokus als die Vereinigten Staaten. Ihnen kam eine Schlüsselrolle beim deutschen Wiederaufstieg und der Revision des Versailler Vertrages zu, auf sie mussten sich die deutschen Werbeversuche daher in erster Linie richten.

In der bisherigen Forschung dominierte die Ansicht, dass die Weimarer Republik mit ihrer internationalen PR relativ erfolglos war. Dieses Bild sucht die Autorin zu revidieren, indem sie aus einer veränderten Perspektive auf die Weimarer Amerikapolitik blickt. Lag der Fokus bisher vor allem auf den wichtigen ökonomischen Aspekten der deutsch-amerikanischen Beziehungen, betrachtet sie jene "weichen" Formen von Diplomatie, die jenseits der staatsoffiziellen Kanäle auf eine breitere Öffentlichkeit zielen und als "public diplomacy" (bisweilen auch "cultural diplomacy") bezeichnet werden. Die Arbeit verschiebt damit auch den Fokus einer intensiven Forschung, die sich in den letzten Jahren mit der Kulturdiplomatie vorwiegend während des Kalten Krieges auseinandergesetzt hat und in der die Vereinigten Staaten vor allem als deren Urheber, weniger als Adressat erschienen. Sie identifiziert eine Reihe von Akteuren, die zwar keine feste Gruppe bildeten, die aber gemeinsam daran gingen, die deutsche Amerikapolitik in neue Formen zu kleiden und ihre Stoßrichtungen nachhaltig zu verändern. Zu ihnen gehörten Diplomaten im engeren Sinne, aber auch Politiker, Gelehrte, Publizisten und Unternehmer. Welche Beziehungen diese als "peaceful revisionists" bezeichneten Akteure untereinander verbanden, wird leider nicht ganz klar. Ihr Ziel war im Übrigen kein anderes als das der Weimarer Außenpolitik überhaupt: eine Revision des Versailler Vertrages und eine Wiederherstellung der deutschen Weltgeltung.

Die Arbeit teilt das Geschehen in drei chronologische Abschnitte ein: während der Jahre 1919-1924 befanden sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen zunächst auf einem Tiefpunkt. Das Deutsche Reich war ein außenpolitischer Pariah, dem international großes Misstrauen entgegengebracht wurde, viele Deutschen verharrten wiederum in tiefer Verbitterung über den vermeintlichen Verrat des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der nach seiner proklamierten Vision einer gerechteren Weltordnung die demütigenden Versailler Friedensbedingungen zuließ. Dennoch wurden in dieser Zeit die entscheidenden Grundlagen für eine erneuerte Form deutscher Außenpolitik gelegt. Im Rahmen der Schüler-Reformen im deutschen Außenministerium wurde nicht nur die Presseabteilung reorganisiert, sondern auch erstmals eine Kulturpolitische Abteilung eingerichtet. Als sich spätestens 1923 die amerikanische öffentliche Meinung wieder zugunsten des Deutschen Reiches drehte, konnte die Weimarer Amerikapolitik auf diesen Grundlagen aufbauen.

Die Jahre zwischen 1924 und 1929, die im Allgemeinen als die "guten Jahre" der Weimarer Republik angesehen werden, erscheinen in der Darstellung als die Hochzeit einer erfolgreichen deutschen Kulturdiplomatie in den Vereinigten Staaten. Die Arbeit wendet sich im Hauptteil konkret drei Bereichen zu, die diese Entwicklung in ihren unterschiedlichen Facetten verdeutlichen: (1) der Politik gegenüber deutschstämmigen US-Amerikanern (2) den akademischen Beziehungen und (3) dem transatlantischen Tourismus. Was die deutsch-amerikanische Gemeinschaft anging, war die wichtigste Veränderung der Verzicht auf eine lange vorherrschende ethnischen Separatismus fördernde Ansprache. Der neue Botschafter in den USA Adolf von Maltzahn, der 1925 sein Amt antrat, suchte dagegen vor allem den Kontakt mit der anglo-amerikanischen Elite und sprach die Deutsch-Amerikaner nicht mehr so sehr als Deutsche, sondern als Amerikaner an. Im Bereich der akademischen Beziehungen waren für die Weimarer Kulturdiplomatie zähe Hindernisse zu bewältigen, denn ein großer Teil der national-konservativen deutschen Professoren zeigte sich eher unwillig, dem ungeliebten demokratischen Staat international zu einem besseren Image zu verhelfen. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurden mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Alexander von Humboldt-Stiftung bis heute bestehende Einrichtungen gegründet, die eher auf den Austausch von Studierenden und jüngeren Wissenschaftler*innen setzten. Eine neue Generation erhielt so die Möglichkeit zu Studien- und Forschungsaufenthalten in den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig bemühten sich die deutschen Universitäten nachhaltig darum, die Studienbedingungen für ausländische Studierende zu verbessern. Steigende (wenngleich absolut gesehen geringe) Zahlen amerikanischer Studierender an deutschen Universitäten zeugen vom Erfolg dieser Bemühungen. Einen Höhepunkt der deutsch-amerikanischen Wissenschaftsbeziehungen der 1920er Jahre war die 1928 mit großem Aufwand zelebrierte Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg an den deutschen Außenminister Stresemann und den US-Botschafter Jacob Gould Schurman, zuvor langjähriger Präsident der Cornell University. Die Autorin verschweigt bei all dem freilich nicht, dass die Intensivierung der akademischen Austauschbeziehungen auf beiden Seiten sehr unterschiedlichen Interessen folgte: während viele Deutsche erwarteten, die frühere Vormachtstellung der deutschen Wissenschaft wiederherzustellen, ging man in den Vereinigten Staaten schon längst von gänzlich geänderten Vorzeichen in der internationalen Wissenschaftslandschaft aus.

Während die Kapitel zur Volkstumspolitik und zur Wissenschaftsdiplomatie auf einem schon recht elaborierten Forschungsstand aufsetzen, leistet die Arbeit mit ihren Ergebnissen zum transatlantischen Tourismus empirische Pionierarbeit. Häuften sich Anfang der 1920er Jahre noch die Klagen amerikanischer Reisender über unfreundliche Behandlung und Diskriminierung im Deutschen Reich, entwickelte sich ab 1925 eine staatliche geförderte Infrastruktur, die Touristen aus Übersee den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen sollte. In New York wurde 1925 ein touristisches Informationsbüro gegründet, das mit zeitgemäßen Marketingmethoden einem amerikanischen Publikum Deutschland als Reiseziel nahebringen sollte. Tatsächlich stiegen die US-Besucherzahlen in den folgenden Jahren deutlich an. In den touristischen Werbematerialien präsentierte sich das Deutsche Reich als modernes Land, das den Vereinigten Staaten von allen europäischen Staaten am ähnlichsten sei. Der griffige Buchtitel wird von den empirischen Befunden dabei konterkariert: die deutsche Tourismuswerbung vermied Assoziationen mit dem schlecht beleumundeten Kaiserreich, vermarktete aber gerade nicht die demokratische Weimarer Republik, sondern ein zeitlos-unpolitisches Deutschland - ein Image, das auch nach der NS-Machtübernahme noch durchaus funktionierte.

Die Arbeit von Elisabeth Piller besticht auf mehreren Ebenen: sie beruht auf einer klugen und innovativen Quellenrecherche in deutschen und amerikanischen Archiven, auf deren Grundlage ein anschauliches Bild der vielfältigen Praktiken deutscher Kulturdiplomatie in den 1920er Jahren gezeichnet wird, die wiederum stets präzise eingeordnet werden. Welches Gewicht ihnen tatsächlich für die Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen zukam, ist natürlich schwer zu messen. In jedem Fall belegt die Arbeit eine klare Neuausrichtung der deutschen Amerikapolitik der 1920er Jahre und damit auch einen deutlichen Lern- und Entwicklungsprozess in der Weimarer Außenpolitik seit dem Ende des Weltkrieges. Darüber hinaus bettet die Verfasserin ihre Befunde in souveräner Manier auch in die längeren Traditionen der deutschen Amerikapolitik ein. Dabei blickt sie einerseits bis in die Zeit um die Jahrhundertwende zurück und betrachtet anderseits auch die Veränderungen seit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933. Hier zeigt sich ein Nebeneinander von Brüchen und Kontinuitäten. Während die Hitler-Regierung einerseits zu einer aggressiveren Volkstumspolitik gegenüber der deutschstämmigen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten zurückkehrte, setzte sie andererseits in der Wissenschaftsdiplomatie und der Tourismuswerbung während der Weimarer Republik eingeschlagene Pfade fort, die personelle und institutionelle Kontinuität in diesen Bereichen waren beachtlich. Auf eine paradoxe Weise erntete so das 'Dritte Reich' einige der Früchte der Weimarer Kulturdiplomatie, war doch etwa die Vermarktung Deutschlands als unpolitisch-modern ein Vehikel seiner Bemühungen, die gewalttätige Diktatur international als 'normales' Land zu präsentieren.

Benno Nietzel