Jane Landers / Jean-Pierre Le Glaunec / Henry Lovejoy / Paul Lovejoy (éds.): Inscrire l'esclavage dans les humanités numérique / Embedding Slavery in Digital Humanities, in: Esclavages & Post-esclavages / Slaveries & Post-Slaveries (2020/3).

Von Stephan Conermann, Bonn

Seit 2019 wird die Online-Zeitschrift Esclavages & Post-esclavages/Slaveries & Post-Slaveries von dem 2017 an dem Centre national de la recherche scientifique (CNRS) etablierten Centre international de recherches sur les esclavages et post-esclavages (CIRESC), einer Unité de service et de recherche (URS), herausgegeben.

Das dritte Heft des Jahrgangs 2020 widmet sich dem Zusammenspiel von Sklavereiforschung einerseits und den Möglichkeiten, die die Digital Humanities bereitstellen, andererseits. In den sechs Beiträgen geht es aber nicht nur um die Präsentation alter oder neuer Datenbanken, sondern es werden auch einige wichtige Probleme angesprochen. So zählt Jean-Pierre Le Glaunec (Université de Sherbrooke, Québec, Kanada) in seiner Einleitung eine Reihe von kritischen Punkten auf, die in den letzten Jahren geäußert worden sind: Wie kann die Nachhaltigkeit von Projekten gewährleistet werden, wenn die verwendete Technologie veraltet ist oder die Forschungsfinanzierung versiegt? Wie sollen stillgelegte Projekte archiviert werden? Wie kann man Gelder für solche Vorhaben einwerben? Wie löst man das Problem der technischen Umsetzung und Betreuung? Aus der Sicht der Vertreter der Postcolonial Studies würden die Digital Humanities ohnehin in der Regel Mainstream-Modelle reproduzieren und neoliberalen Anbietern die Möglichkeit geben, sich in der Universitätswelt einzunisten. Darüber hinaus seien die Geisteswissenschaften häufig von Daten abhängig, die systemische Voreingenommenheit widerspiegeln und asymmetrische Machtstrukturen in Bezug auf Geschlecht, Rasse oder soziale Klasse aufrechterhalten. "Le domaine", so Le Glaunec weiter, "profiterait surtout aux universités prestigieuses des nations de tradition coloniale et aux chercheurs les plus en vue, qui monopoliseraient ainsi les maigres ressources traditionnellement allouées aux sciences humaines et sociales plutôt que d'œuvrer au mouvement de décolonisation des savoirs." (2)

Wir alle kennen die lange und komplizierte Geschichte der Trans-Atlantic Slave Trade Database (www.slavevoyages.org). Neben technischen Herausforderungen stellte sich vor allem die Frage nach der langfristigen Finanzierung des Projektes. Künftig soll nun ein neues Konsortium (Emory University, Hutchins Center for African and African American Research/Harvard University, National Museum of African American History and Culture, Omohundro Institute of Early American History & Culture, Rice University, UC Santa Cruz, UC Irvine und UC Berkeley) die Nachhaltigkeit der Datenbank garantieren. Trotz der paradigmatischen Problemen dieses Vorzeigeprojektes hat sich eine Gruppe von Wissenschaftler*innen des International Institute of Social History (IISH) in Amsterdam nicht davon abhalten lassen, eine ähnlich geartetes Unterfangen für den Indischen Ozean ins Leben zu rufen. In ihrem Beitrag beschreiben Samantha Sint Nicolaas, Matthias van Rossum und Ulbe Bosma ihren Versuch, eine Indian Ocean and Maritime Asia Slave Trade Database aufzubauen. Mithilfe einer Anschubfinanzierung durch die Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek (NWO) konnte man das Grundgerüst der Datenbank aufbauen, doch wie wird es weitergehen? Ob es eine weitere Unterstützung geben wird, ist unklar. Darüber hinaus ist der Quellenkorpus nicht klar definiert, obgleich die VOC-Dokumente eine gute Grundlage bieten. Was ist eigentlich, so frage ich mich schon seit längerem, mit den Archiven der East India Company oder der Compagnie des Indes Orientales? Darüber hinaus verfügen wir über sehr vielversprechende weitere Quellenbestände, die allerdings lokal begrenzt sind.

Rafaël Thiebaut, der unter der Betreuung von Stephen Ellis (gest. 2015) und Ulbe Bosma (beide Vrije Universiteit Amsterdam) und Bertrand Hirsch (Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne) eine ausgezeichnete Dissertation zum Thema "Traite des esclaves et commerce néerlandais et français à Madagascar (XVIIe-XVIIIe siècles)" angefertigt hat, die demnächst auch in Buchform erscheinen wird, beschreibt in seinem Artikel ("Construire une base de données sur la traite des esclaves dans l'océan Indien. L'exemple du cas français à Madagascar au XVIIIe siècle") sehr schön die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer statistischen Auswertung auf uns gekommenen Materials zur Erforschung der Sklaverei auf und über Madagaskar. Anhand der Beschreibung der Überarbeitung der digitalen Plattform Liberated Africans (www.liberatedafricans.org/), die das Leben von über 250.000 Personen nachzeichnet, die im Rahmen der weltweiten Kampagnen zur Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert freigelassen wurden, widmet sich Henry Lovejoy von der University of Colorado Boulder der wichtigen Frage, wie man eigentlich den wissenschaftlichen Beitrag der verschiedenen Wissenschaftler*innen erkennen kann, die an einem solchen Projekt beteiligt sind. Lovejoy rät dazu, Projektgeschichten zu veröffentlichen, in denen klar dargelegt wird, welche Individuen welche Daten eingespeist haben und wer für die technische Umsetzung und die Bereitstellung der Dienstleistungsservices verantwortlich sind. Welches ist, so mag man sich darüber hinaus fragen, der richtige ethische Umgang mit sensiblen Daten in den Quellen und deren Präsentation durch digitale Werkzeuge? Diese wichtigen Aspekte thematisieren Katrina Keefer, Eric Lehman, Michael McGill und Gabriela Mattia anhand ihres Vorhabens, Personalakten der West African Frontier Force (WAFF), die im öffentlichen Archiv von Sierra Leone aufbewahrt werden und sehr vertrauliche Informationen enthalten, zu digitalisieren. Es geht vor allem um die geschickte und ethisch vertretbare Organisation, Anonymisierung und Standardisierung von Daten und Metadaten. Ein Beitrag zu den Möglichkeiten einer kartographischen Auswertung der weiter oben bereits erwähnten Trans-Atlantic Slave Trade Database (Andrew Sluyter: "Death on the Middle Passage: A Cartographic Approach to the Atlantic Slave Trade") und ein Artikel von Léon Robichaud zu der von ihm (gemeinsam mit Jean-Pierre Le Glaunec) betreuten Website "Le marronnage dans le monde atlantique: sources et trajectoires de vie" (http://www.marronnage.info/fr/), die Angaben zu mehreren tausend entlaufenen Sklav*innen auf Saint-Domingue, Jamaika, Guadeloupe und in Louisiana, South Carolina und Französisch-Guyana aus der Zeit von 1765 bis 1833 enthält, runden das gelungene und überaus spannende Themenheft ab.