Titas Chakraborty / Matthias van Rossum (eds.): Slave Trade and Slavery in Asia. New Perspectives, in: Journal of Social History 54,1 (2020), 1-124.

Von Stephan Conermann, Bonn

Es ist erstaunlich, dass bisher kaum einmal Sklaverei und sklavereiähnliche Verhältnisse wie Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft, Zwangsprostitution oder andere Formen unfreier Arbeit als für Gesellschaften zentrale, wenn nicht sogar systemrelevante Formen starker asymmetrischer Abhängigkeit zusammengedacht worden sind. Ebenso verwunderlich scheint mir aber auch zu sein, den Transatlantischen Dreieckshandel und den damit zusammenhängenden "Aufstieg" Europas nicht mit dem Vordringen europäischer Kolonialmächte in die Welt des Indiks zu verbinden. [1] Das mag damit zusammenhängen, dass sich die Forschung zu den Sklavereien in dieser Region sehr unübersichtlich und wenig systematisch darstellt und in der Regel allein aus der Binnensicht einzelner Regionalwissenschaften heraus geschieht. Darüber hinaus gibt es nur wenige oder nicht sehr aussagekräftige nicht-europäische Quellen. Aus diesem Grund muss man dieses Sonderheft, in dem die beiden Herausgeber fünf Fallstudien zu verschiedenen Sklavereisystemen in dieser Weltgegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert versammelt haben, sehr begrüßen.

Der schwedische Historiker Hans Hägerdal (Linaeus University, Växjö und Kalmar) behandelt in seinem Artikel anhand von niederländischen und portugiesischen die Sklaverei auf den indonesischen Inseln Timor, Roti und Sawu sowie auf dem Alor- und Solor-Archipel. [2] Es wird deutlich, dass der Handel mit Menschen in der Region sehr komplex gewesen ist, wobei die Bedürfnisse und Praktiken der Europäer und der zahlreichen lokalen Herrscher sich ähnelten und Hand in Hand gingen. Rafaël Thiébaut greift in seinem Beitrag das Thema seiner Dissertation "Traite des esclaves et commerce néerlandais et français à Madagascar (XVIIe-XVIIIe siècles)" auf, auf deren Basis er 2017 an der Sorbonne und der Freien Universität in Amsterdam promoviert worden ist. Es ist der Versuch einer quantitativen Analyse des madagassischen und maskarenischen Sklavenhandels. Dabei geht es um die Anzahl der versklavten Menschen, der relevanten Schifffahrten, der Anteile der beteiligten europäischen Mächte, der Revolten und um die Preise für Sklav*innen und die Sterblichkeitsrate auf den Überfahrten. Obgleich große methodische Herausforderungen existieren, kommt Thiébaut zu folgendem Ergebnis: "My research has provided evidence of 1.771 expeditions. Not only was the French slave trade much more substantial than previously thought, it also witnessed a greater diversity, both in the organization of the expeditions and in the composition of its cargos. Thus, it can be considered less static and more dynamic, a dynamism that was already developed as early as the regime of the Compagnie des Indes." (55) . Matthias von Rossum und sein Team (Alexander Geelen, Bram van den Hout, Merve Tosun, Mike de Windt) präsentieren in dem nächsten Beitrag Teilergebnisse eines größeren Projektes zum Thema "Between Local Debts and Global Markets. Explaining Slavery in South and Southeast Asia 1600-1800". Gemeinsam untersuchen sie anhand von Gerichtsakten den Sklavenhandel in den von der Vereenigde Oostindische Compagnie beherrschten Regionen. Am Beispiel entlaufener Sklav*innen und ihrer Netzwerke im indischen Kochi können sie zeigen, dass die gängige Vorstellung von nur einer Form der Sklaverei (und zwar derjenigen auf den Plantagen der amerikanischen Südstatten) zu kurz greift und den mannigfaltigen Bedingungen, unter denen versklavte Frauen, Männer und Kinder lebten, nicht gerecht wird. Die Wirklichkeit und der Alltag waren in vielen Regionen der Welt sehr vielfältig und wurden stark von den Beziehungen zwischen den Sklav*innen und ihren Herr*innen geprägt.

Der Frage, wie der formale, rechtliche Prozess der Freilassung den Alltag des Einzelnen veränderte, geht Kate Ekama, die im Historischen Institut der Stellenbosch University in Südafrika arbeitet, nach. Auf der Grundlage von Freilassungsurkunden aus dem von den Niederländern beherrschten Colombo auf Sri Lanka aus dem 18. Jahrhundert untersucht sie anhand einiger exemplarischer Lebensläufe die jeweiligen Auswirkungen der Statusänderung. Wie eigentlich nicht anders zu erwarten, konnten die Personen ihre neue "Freiheit" nicht genießen und ausleben, sondern blieben aufgrund von bindenden Verpflichtungen und hohen Verschuldungen in der Regel weiterhin stark abhängig von ihren Herr*innen. Ulbe Bosma, der an dem International Institut of Social History tätig ist und eine Stiftungsprofessur für Vergleichende Sozialgeschichte an der Freiem Universität in Amsterdam innehat, [3] erklärt sich in dem abschließenden Artikel der Sondernummer, wie im 19. Jahrhundert "a rising demand for forest and sea products, pepper and rice, together with a proliferation of firearms, kindled slave raiding and trading in the Indonesian archipelago." (109) Bosma schätzt, dass um 1850 herum jedes Jahr ca. 7.000 - 9.000 Sklaven auf dem Wasserweg von einem Ort zum anderen transportiert wurden. Hinzu kamen noch die zahlreichen Personen, die auf den Überfahrten umkamen oder die während der Sklav*innenraubzüge ihr Leben verloren. Insgesamt, so Bosma weiter, lebten zu jener Zeit zwischen 567.000 und 806.000 versklavte Menschen auf den Äußeren Inseln Indonesiens, was ungefähr 8-10 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Auf Java hingegen gab es zu diesem Zeitpunkt keine Sklaverei mehr. Das bedeutet jedoch nur, dass sich eine Reihe sklavereiähnlicher Institutionen herausgebildet hatten…

Nach der Lektüre der fünf wichtigen Beiträge bleibt die Erkenntnis, dass es noch ein langer Weg bis zu einer Gesamtdarstellung der Sklaverei auf und um den Indik ist. Von einer globalgeschichtlichen Einbindung ganz zu schweigen. Es sind noch viele Einzelstudien notwendig, bevor wir die Mechanismen der einzelnen, ineinandergreifenden lokalen und translokalen Sklavereisysteme und ihre wirtschaftlichen und politischen Kontexte verstehen.

Anmerkungen:

[1] Siehe aber Richard B. Allen: Slave, Convict, and Indentured Labor and the Tyranny of the Particular. Berlin: EB-Verlag 2020.

[2] Hans Hägerdal: Lords of the Land, Lords of the Sea: Conflict and Adaptation in Early Colonial Timor, 1600-1800. Leiden: KITLV Press 2012.

[3] Ulbe Bosma hat in den letzten Jahren zwei wegweisende Bücher geschrieben: The Sugar Plantation in India and Indonesia: Industrial Production, 1770-2010, Cambridge: Cambridge University Press 2013 und The Making of a Periphery: How Island Southeast Asia Became a Mass Exporter of Labor, New York: Columbia University Press 2019.