Der hier vorliegende Band reiht sich in eine Forschungstradition ein, die von der Società Internazionale di Studi Francescani in Assisi und dem Centro Interuniversitario di Studi Francescani seit langem gepflegt wird. Bereits zweimal waren frühere Kongresse dem Verhältnis zwischen dem Papsttum des 13. Jahrhunderts und den Bettelorden gewidmet - einmal in allgemeinerer Perspektive, ein weiteres Mal mit Blick auf Gregor IX. Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass der 51. Kongress nun Innozenz IV. in den Mittelpunkt stellte. [1]
Das Thema, das auf den ersten Blick exzentrisch erscheinen mag, wenn man es mit den zahlreichen franziskanischen Jubiläen vergleicht, die in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich gezogen haben, erweist sich in Wirklichkeit als von zentraler Bedeutung. Es beleuchtet die Rolle von Papst Innozenz IV. (1243-1254) nicht nur bei der Ausgestaltung des petrinischen Primats und im politischen Kampf gegen Kaiser Friedrich II., sondern vor allem bei der Formierung des Verhältnisses zwischen dem Apostolischen Stuhl und den neuen religiösen Orden, die seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts die Gestalt der Kirche und der mittelalterlichen Gesellschaft nachhaltig prägten.
Den Band eröffnet ein Beitrag von Agostino Paravicini Bagliani, der eine eingehende Untersuchung zur Präsenz der Prediger- und Minderbrüder am päpstlichen Hof Innozenz' IV. bietet. Anhand einer präzisen Analyse kurialer und chronikaler Quellen wird deutlich, dass die Bettelorden zwar noch nicht in großer Zahl in den Kardinalsfamilien und an der Kurie vertreten waren, ihre Anwesenheit jedoch durch die Qualität der beteiligten Persönlichkeiten ins Gewicht fiel. Gestalten wie Raimund von Peñafort, Johannes von Pian del Carpine oder Theodoricus Borgognoni belegen den wachsenden Einfluss der neuen Orden in Schlüsselsektoren wie Kanonistik, Mission, Medizin und Diplomatie. Auch die Chronica minor eines Erfurter Franziskaners wird herangezogen, die eine direkte Kenntnis der römischen Verhältnisse vermuten lässt und so den Befund unterstreicht, dass die päpstliche Kurie bereits unter Innozenz IV. als ein Zentrum der Interaktion zwischen traditionellem Klerus und Bettelorden diente.
Es folgt der Beitrag von Enrico Basso über das Verhältnis zwischen Innozenz IV. und seiner Familie, den Fieschi. Die genealogische und prosopographische Analyse zeichnet die Entwicklung einer ligurischen Konsortialfamilie nach, die sich im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts konsolidierte und dank der Papstwahl Sinibaldos einen zuvor unerreichten kurialen und territorialen Einfluss gewann. Der Autor zeigt überzeugend, wie der Pontifikat Innozenz' IV. einen Wendepunkt in der Entwicklung der Fieschi von einer lokalen Herrscherfamilie zu einem international agierenden Geschlecht darstellte, gestützt auf die Vergabe von Benefizien an Verwandte, unter ihnen den späteren Hadrian V. Der Beitrag verdeutlicht das enge Zusammenspiel zwischen geistlicher Autorität, familiären Netzwerken und aristokratischen Strukturen.
Christian Grasso widmet sich der Erinnerung an Innozenz IV. in den zeitgenössischen Narrativquellen, von der offiziellen Vita des Franziskaners Niccolò da Calvi über die Chronik Salimbenes de Adam bis zu den Schriften von Matthew Paris. Durch den Vergleich dieser Quellen gelingt es, die oftmals einseitige Sichtweise zu relativieren, die den Pontifikat ausschließlich mit dem Kampf gegen Friedrich II. gleichsetzte. Zwar bildet er ein zentrales Element, doch treten daneben weitere Perspektiven hervor: Salimbene etwa richtet den Blick auf Maßnahmen zugunsten der Minderbrüder, während Matthew Paris die Habsucht der römischen Kurie kritisiert. Grasso mahnt somit an, die Vielstimmigkeit der zeitgenössischen Überlieferung ernst zu nehmen, die ein facettenreicheres Bild des Papstes entstehen lässt.
Das Kernstück des Bandes bilden die Studien zu den Beziehungen Innozenz' IV. zu den verschiedenen Bettelorden. Andrea Bartocci widmet seinen Beitrag der Armutsthematik der Minderbrüder und rekonstruiert die Entstehung einer juristischen Lehre, die von der Bulle Quo elongati Gregors IX. ausgeht und in dem Schreiben Ordinem vestrum (1245) ihre ausgereifte Form findet. Der Übergang vom Konzept des utile zu dem des commune sowie die Rolle des Kardinalprotektors zeigen das Bemühen des Papstes, einen Ausgleich zwischen evangelischer Radikalität und institutioneller Tragfähigkeit zu schaffen.
Marina Benedetti weitet den Blick hin auf das officium fidei, die inquisitorische Tätigkeit der Dominikaner in der Lombardei der Mitte des 13. Jahrhunderts. Franziskaner agierten damals (noch) nicht als offizielle Inquisitoren, hier spielten die Dominikaner die zentrale Rolle. Innozenz IV. unterstützte nachdrücklich dieses Instrument der Glaubensverteidigung, das im Kontext der Heiligsprechung des dominikanischen Inquisitors Petrus von Verona eine entscheidende Festigung erfuhr.
Emanuele Carletti untersucht die Haltung Innozenz' IV. gegenüber Karmeliten, Serviten und Sackbrüdern. Zwischen der Anpassung an das mendikantische Modell und der Bewahrung eremitischer Elemente tritt der Papst als sensibler Regulator der Balance zwischen neuen religiösen Lebensformen und den Ortskirchen hervor.
Aufschlussreich ist der Beitrag von Francis Andrews über die Rolle Innozenz' IV. bei der Entstehung des Augustinereremitenordens. Auch wenn der Papst nicht der unmittelbare Schöpfer der Vereinigung war, hatten seine Entscheidungen, vermittelt über den Kardinalneffen Guglielmo Fieschi, erheblichen Einfluss auf die Konsolidierung des Ordens.
Andrew Traver behandelt den Konflikt zwischen Weltklerus und Bettelorden, der vor allem in Paris eskalierte. Innozenz IV., der enge Beziehungen zu diesem Milieu pflegte, förderte zunächst großzügig die neuen Orden, schränkte seine Unterstützung jedoch ein, als die Spannungen in den fünfziger Jahren des 13. Jahrhunderts zunahmen. Der Beitrag zeigt die komplexe, zwischen Förderung und Mäßigung schwankende Politik des Papstes.
Mit den juristischen Reflexionen Innozenz' IV. beschäftigt sich Giovanni Chiodi. Er geht insbesondere auf zwei zentrale Themen ein: zum einen auf die Frage nach den rechtlichen Grundlagen und Grenzen kollektiver Strafen gegen ganze Gemeinschaften (universitates), zum anderen auf die Problematik der päpstlichen Jurisdiktion über Ungläubige und damit verbundene Überlegungen zum bellum iustum. Diese detaillierte Analyse verdeutlicht die innovative Kraft des Fieschi, dessen Überlegungen nicht nur seine Zeit prägten, sondern auch spätere Theologen und Kanonisten beeinflussten.
Christine Gadrat-Ouerfelli richtet den Blick auf die Beziehungen Innozenz' IV. zu den Mongolen und zur islamischen Welt. Die den Bettelorden anvertrauten Gesandtschaften und Missionen belegen das Projekt einer Universalisierung der christianitas, in dem Kreuzzugsidee und Missionsbestrebungen miteinander verschränkt wurden.
Maria Pia Alberzoni beleuchtet schließlich die Haltung des Papstes gegenüber den mulieres religiosae. Wenn auch spontane Formen weiblicher Religiosität zunächst mit Skepsis betrachtet wurden, so beförderte Innozenz IV. durch sein Eingreifen - insbesondere in Bezug auf Klara von Assisi und unter Mitwirkung des Kardinals Rinaldo da Jenne - doch eine erste Konsolidierung.
Den Abschluss bilden Silvia Beltramo und Gianmario Guidarelli mit einer Untersuchung zur Bautätigkeit Innozenz' IV. Hier wird ein oftmals vernachlässigter Bereich sichtbar: die Förderung von Kirchen- und Klosterbauten, insbesondere zugunsten der Bettelorden, in Städten wie Genua, Bologna, Assisi, Rom und Lyon. Die persönliche Anteilnahme des Papstes, die sich auch in zahlreichen Weihehandlungen zeigt, verdeutlicht sein Bewusstsein für die symbolische und politische Bedeutung der Architektur.
Insgesamt stellt der Band einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des 13. Jahrhunderts dar. Er integriert unterschiedliche Ansätze - prosopographische, juristische, ekklesiologische, architekturhistorische - zu einem kohärenten Ganzen. Innozenz IV. erscheint darin nicht nur als Gegner Friedrichs II., sondern als Papst, der zukünftige Entwicklungen vorwegnahm, die Beziehungen zu den Bettelorden mit Umsicht regelte und der Kirche seiner Zeit entscheidende Impulse verlieh. Der Assisaner Sammelband unterstreicht somit die Notwendigkeit, dieses Pontifikat in seiner Vielschichtigkeit neu zu bewerten, und eröffnet zugleich neue Forschungswege für die Mediävistik. Damit wird deutlich, dass die traditionelle Reduktion Innozenz' IV. auf den bloßen Antagonisten Friedrichs II. weniger der historischen Realität als vielmehr einer von der Historiographie verfestigten Sichtweise entspringt - eine Sichtweise, die der vorliegende Band überzeugend zu relativieren vermag.
Anmerkung:
[1] Il papato duecentesco e gli Ordini mendicanti (Assisi, 13-14 febbraio 1998) (Atti dei Convegni della Società internazionale di studi francescani e del Centro interuniversitario di studi francescani; n.s. 8), Spoleto 1998; Gregorio IX e gli Ordini mendicanti (Assisi, 7-9 ottobre 2010) (Atti dei Convegni della Società internazionale di studi francescani e del Centro interuniversitario di studi francescani; n.s. 21), Spoleto 2011.
Società Internazionale di Studi Francescani / Centro Interuniversitario di Studi Francescani: Innocenzo IV e gli ordini mendicanti. Atti del LI Convegno internazionale (Assisi, 12-14 ottobre 2023) (= Atti dei Convegni della Società internazionale di studi francescani e del Centro interuniversitario di studi francescani. Nuova serie; 34), Spoleto: Fondazione Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo 2024, X + 368 S., ISBN 978-88-6809-432-4, EUR 44,00
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