Rezension über:

Julia Hörmann-Thurn und Taxis: Angepasst oder selbstbestimmt? Zur Sozial- und Kulturgeschichte spätmittelalterlicher Fürstinnen im Herzogtum Österreich und in der Grafschaft Tirol im 13. und 14. Jahrhundert (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; 67), Wien: Böhlau 2023, 788 S., ISBN 978-3-205-21728-2, EUR 120,00
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Rezension von:
Matthias Kühlwein
Weinheim
Redaktionelle Betreuung:
Frederieke Maria Schnack
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Kühlwein: Rezension von: Julia Hörmann-Thurn und Taxis: Angepasst oder selbstbestimmt? Zur Sozial- und Kulturgeschichte spätmittelalterlicher Fürstinnen im Herzogtum Österreich und in der Grafschaft Tirol im 13. und 14. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/38479.html


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Julia Hörmann-Thurn und Taxis: Angepasst oder selbstbestimmt?

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Julia Hörmann-Thurn und Taxis beschäftigt sich in ihrer Innsbrucker Habilitationsschrift ausgehend vom Beispiel der Gemahlinnen und Töchter aus den hochadeligen Häusern Habsburg und Tirol mit der Rolle der Fürstin aus sozial- und kulturgeschichtlicher Perspektive. Nachdem die Frauen- und Geschlechtergeschichte mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil des mediävistischen Themenspektrums geworden ist und sich eine Fülle von Forschungsarbeiten mit Kaiserinnen und Königinnen oder geistlichen Frauen beschäftigt hat, möchte sich Hörmann-Thurn und Taxis intensiver den Fürstinnen als eigener sozialer Gruppe widmen.

Für ihre Untersuchung versucht sie, einen Mittelweg zwischen individuellen Lebensformen und sozialen Rahmenbedingungen einzuschlagen (21 f.). Anstatt sich im Klein-Klein einzelner Biografien zu verlieren, erfolgt die Untersuchung vorwiegend einer reichhaltigen Auswahl an thematischen Facetten, um sich so dem sozial-kulturellen Phänomen Fürstin anzunähern (25 f.). Dieser Zugriff wurde einerseits gewählt, um allgemeingültige und vergleichbare Ergebnisse über die Handlungsspielräume von Fürstinnen zu erzielen, andererseits aufgrund der Ungleichmäßigkeit der Quellenlage, die eine tiefergehende biografische Untersuchung der 22 Fürstinnen verhindert. Zwar gibt es immer wieder herausragende Persönlichkeiten wie Agnes von Ungarn, Elisabeth von Tirol-Görz, Isabella von Aragon, Eufemia von Schlesien und Margarete von Görz-Tirol, über deren Leben und Wirken mehr ausgesagt werden kann. Doch steht diesen Beispielen die große Mehrheit der Fürstinnen gegenüber, die kaum bis wenig in den schriftlichen Quellen auftreten (26-33). Es stellt sich daher die Frage, inwiefern der Vergleich von nur zwei Adelsgeschlechtern tatsächlich dazu beiträgt, eine Annäherung an das sozial-kulturelle Phänomen Fürstin zu leisten oder ob nicht eine dynastieunabhängige Auswahl von Fallbeispielen für dieses Erkenntnisziel sinnvoller gewesen wäre. Zu verweisen ist hier etwa auf die Arbeit von Jonathan Lyon [1], der mittels einer größeren Vergleichsbasis überzeugend zu allgemeinen Ergebnissen gelangt.

Gegliedert ist die Arbeit in drei Hauptteile. Im ersten Teil stehen Fragen zur familiären und dynastischen Einbindung der Fürstinnen im Fokus, etwa nach dem politischen Stellenwert der Konnubien, den Verhandlungen im Vorfeld der Eheschließungen, den Hochzeiten und der Fertilität (63-192). Zwischen Einleitung und erstem Hauptteil ist eine allgemein historische Übersicht zu den beiden in den Blick genommenen Adelsgeschlechtern der Habsburger und Grafen von Tirol eingefügt (34-60), was Lesern, die keine ausgewiesenen Kenner der Landesgeschichte Österreichs sind, eine wichtige Hilfestellung zum Verständnis bietet.

Der zweite Hauptteil beschäftigt sich intensiv mit den Handlungsspielräumen der österreichischen und Tiroler Fürstinnen. Dazu widmet sich Hörmann-Thurn und Taxis zunächst den wirtschaftlich-finanziellen Grundlagen, welche den Fürstinnen im Zuge der Eheverhandlungen zugewiesen wurden (195-255). Anhand ihrer detailreichen und quellennahen Analyse kommt Hörmann-Thurn und Taxis zu Ergebnissen, die in Teilen bisherige Urteilsbildungen differenzieren (etwa 197) oder neue Perspektiven eröffnen. So kann die Verfasserin u. a. nachweisen, dass es bei den Habsburgern bestimmte Besitzungen gab, die immer wieder zur Versorgung von Witwen eingesetzt wurden (221, 244-246). Im Anschluss werden die Möglichkeiten und Grenzen der hochadeligen Frauen auf den Handlungsfeldern Administration und Politik untersucht. Unterteilt ist dieses Kapitel gemäß den Rollen, die eine Fürstin als Erbtochter, Gemahlin, Witwe, Regentin oder 'Graue Eminenz' einnehmen konnte (256-315). Dass die Spielräume der Fürstin hierbei in besonderem Maße davon abhingen, welche Stellung ihr Gemahl innerhalb des Familienverbandes innehatte (313), entspricht durchaus dem Erwartbaren. Weiterhin befasst sich die Verfasserin mit der Titelführung, um in Analogie zur Dissertation von Alexander Sauter [2] diese als Ausweis weiblich-fürstlicher Herrschaftsrepräsentation zu interpretieren (316-337). Unklar bleibt, weshalb sie an dieser Stelle nicht ebenfalls die Siegel der Fürstinnen in den Blick nimmt, sondern sich nur auf die Titel als Medium zur Kommunikation des fürstlichen Selbstverständnisses beschränkt. Den Abschluss des zweiten Hauptteils bildet ein Kapitel über die Fürstin als Gründerin und Förderin geistlicher Institutionen (338-389). Eine gewisse Fürsorgepflicht gehörte durchaus zum Rollenbild der hochadeligen Dame, daher ist die Beobachtung von Hörmann-Thurn und Taxis interessant, dass es gleichfalls Fürstinnen gegeben hat, die dezidiert diesem Bild nicht entsprachen, sondern vielmehr ein bewusstes Desinteresse zur Schau stellten (380-382). Der Vergleich mit dem Stiftungsverhalten der Fürsten zeigt deutlich, dass bei größeren Investitionen nicht nur die Spielräume der Frau durch das Votum des Gemahls eingeschränkt waren, sondern auch die des regierenden Fürsten durch das Votum seiner Verwandten (389).

Der dritte und letzte Hauptteil der Studie befasst sich intensiv mit dem Frauenhof. Zunächst werden die in den Quellen nachweisbaren Personen, die sich im Umfeld der Fürstin aufhielten, in den Blick genommen. Dazu zählen vor allem die Inhaber von Hofämtern oder die Amtleute auf den Heirats- und Witwengütern (393-449). Aber auch die Frage nach emotionalen und sozialen Bindungen der Fürstinnen, etwa zu Vertrauten aus der Heimat, der Kontaktpflege zur Herkunftsfamilie oder die Ehepraxis stehen im Fokus der Untersuchung (450-494). Der Frauenhof wird allerdings nicht nur als soziales Umfeld der jeweiligen Fürstin behandelt, sondern zudem in seiner Funktion als räumliches und kulturelles Zentrum (495-527). Dabei kann Hörmann-Thurn und Taxis beispielsweise mit starken Argumenten der Behauptung entgegentreten, dass sogenannte internationale Ehepartner entscheidenden Anteil am Kulturtransfer gehabt hätten (520 f.). Etwas fehl am Platz wirkt in diesem Teil das Kapitel zu Tod und Testamenten (528-544). Gerade in letzteren lassen sich zwar durchaus soziale Beziehungen erkennen, sodass darüber wiederum ein Bogen zur Gesamtkonzeption des dritten Hauptteils geschlagen werden kann, dennoch sei die Frage gestattet, ob eine Einteilung der Studie nach den Lebensphasen der Fürstinnen (Kindheit/Braut, Gemahlin, Witwe) nicht sinnvoller gewesen wäre. Ferner muss infrage gestellt werden, wie sinnvoll es ist, die Hauptteile schlicht mit A, B und C zu überschreiben, anstatt aussagekräftigere Titel zu wählen. Dies würde zudem bei Nutzung des eBooks zu mehr Übersichtlichkeit führen - wobei nicht erkennbar ist, ob dies eine Entscheidung der Autorin oder des Verlags gewesen ist.

Abschließend werden die Ergebnisse der Studie noch einmal präzise zusammengefasst (545-554). Offen bleibt allerdings die im Titel gestellte Frage, ob die untersuchten Fürstinnen der Habsburger und Tiroler angepasst waren oder selbstbestimmt handelten. Eine verallgemeinernde Antwort auf diese anachronistisch anmutende Frage wird man als Leser jedoch nicht ernsthaft erwarten dürfen, so zeigt Hörmann-Thurn und Taxis doch immer wieder eindrucksvoll, wie individuell die Rahmenbedingungen für die einzelnen Fürstinnen in verschiedenen Lebensphasen sein konnten.

Ihre durch den Detailreichtum beeindruckende und quellengestützte Studie mag auf den ersten Blick nur wie ein Beitrag zur Landesgeschichte Österreichs wirken, doch zeigt die Verfasserin aufgrund der behandelten Themenvielfalt immer wieder Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen auf. Für die Annäherung an das sozial-kulturelle Phänomen Fürstin im Mittelalter ist die Studie daher ein wichtiger Meilenstein.


Anmerkungen:

[1] Jonathan Reed Lyon: Princely brothers and sisters. The sibling bond in German politics (1100-1250), Ithaka / New York 2013.

[2] Alexander Sauter: Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert (= Mittelalter-Forschungen; 12), Stuttgart 2003.

Matthias Kühlwein